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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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es hieß, daß »ausreichende Möglichkeiten zur Unterbringung der Juden aus Bulgarien bestehen«, er schlug vor, man solle an die bulgarische Regierung herantreten, und versicherte, daß der Polizeiattaché in Sofia »für die technische Durchführung der Abschiebung sorgen« würde. (Dieser Polizeiattaché scheint nicht sehr begeistert bei der Sache gewesen zu sein, denn kurz darauf schickte Eichmann einen seiner eigenen Leute nach Sofia als »Berater«: Theodor Dannecker, der bis dahin in Paris stationiert gewesen war.) Interessanterweise steht dieses Schreiben in genauem Gegensatz zu einer nur wenige Monate zuvor nach Serbien geschickten Benachrichtigung, in der Eichmann versichert, daß Möglichkeiten zur Aufnahme von Juden zur Zeit nicht vorhanden seien und selbst Juden aus dem Reich nicht deportiert werden könnten. Die Dringlichkeit, mit der man auf einmal Bulgarien »judenrein« zu machen suchte, läßt sich nur damit erklären, daß in Berlin genaue Informationen eingetroffen waren, die größte Eile nahelegten, wenn man überhaupt etwas erreichen wollte. Jedenfalls trat die deutsche Botschaft an die bulgarische Regierung mit der Bitte um »radikalere« Maßnahmen in der Judenfrage heran, woraufhin es immer noch sechs Monate dauerte, bis die Regierung sich zu einem ersten Schritt in dieser Richtung, der Einführung des Judensterns, entschloß. Aber auch dies führte nur zu weiteren Enttäuschungen, zunächst deshalb, weil das Abzeichen, wie pflichtschuldig nach Berlin gemeldet wurde, »ein allerdings nur kleiner Judenstern« war, ferner, weil die meisten Juden ihn einfach nicht trugen, und schließlich, weil diejenigen, die ihn trugen, »soviel Sympathiekundgebungen seitens der irregeleiteten Bevölkerung erhielten, daß sie jetzt direkt stolz auf ihr Abzeichen sind« (wie ein von Walter Schellenberg, dem Abwehrchef im RSHA, im November 1942 an das Auswärtige Amt weitergeleiteter SD-Bericht notiert). Woraufhin die bulgarische Regierung die Verordnung einfach aufhob. Unter starkem deutschen Druck wurde schließlich beschlossen, alle Juden aus Sofia auszuweisen und auf dem Lande anzusiedeln – aber diese Maßnahme war ganz entschieden nicht im Sinne der Nazi-Politik, denn sie zerstreute die Juden, statt sie zu konzentrieren. Zudem provozierte die Ausweisung der Juden aus der Hauptstadt unerwartete und sehr unerwünschte Vorkommnisse. Die Bevölkerung von Sofia versuchte nämlich, die Juden auf ihrem Weg zum Bahnhof aufzuhalten, und als ihr das nicht gelang, demonstrierte eine große Menschenmenge anschließend vor dem königlichen Palast. Die Deutschen hatten bis dahin gemeint, daß König Boris der Hauptverantwortliche für den Schutz war, den Bulgarien seinen Juden angedeihen ließ, und es ist ziemlich sicher, daß deutsche Geheimagenten ihn ermordet haben. 11 Doch weder der Tod des Monarchen noch das Eintreffen Danneckers zu Beginn des Jahres 1943 haben die Situation im geringsten geändert, da Parlament wie Bevölkerung eindeutig auf seiten der Juden blieben. Zwar gelang es Dannecker, mit dem bulgarischen Kommissar für Judenangelegenheiten ein Übereinkommen zu treffen, demzufolge 6000 »führende Juden« nach Treblinka deportiert werden sollten, aber keiner dieser Juden hat je das Land verlassen. Das Abkommen selbst ist bereits bemerkenswert, denn es zeigt, daß die Nazis nicht damit rechnen konnten, die jüdischen Funktionäre für ihre Zwecke einzuspannen. Der Oberrabbiner von Sofia war unerreichbar, ihn hielt der Metropolit Stephan von Sofia verborgen, der öffentlich erklärt hatte, daß »Gott das jüdische Schicksal vorbestimmt hat und Menschen kein Recht haben, die Juden zu foltern und zu verfolgen« (Hilberg) – das war erheblich deutlicher als alles, was man aus dem Vatikan gehört hat. Und zum Schluß geschah in Bulgarien das gleiche, was ein paar Monate später in Dänemark geschehen sollte – die in Bulgarien stationierten deutschen Beamten wurden unsicher und waren nicht mehr zuverlässig. Das galt sowohl für den Polizeiattaché, ein Mitglied der SS, der eigentlich die Juden aufgreifen und verhaften sollte, als auch für den deutschen Botschafter in Sofia, Adolf Beckerle, der im Juni 1943 dem Auswärtigen Amt mitteilte, die Situation sei aussichtslos, weil den Bulgaren »die ideologische Aufklärung fehlt, die bei uns vorhanden ist. Mit Armeniern, Griechen und Zigeunern groß geworden, findet der Bulgare an dem Juden keine Nachteile, die besondere Maßnahmen gegen ihn rechtfertigen«

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