Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
– was natürlich reiner Unsinn war, da sich das gleiche mutatis mutandis von allen Völkern Ost- und Südosteuropas sagen ließ. Beckerle war es auch, der dem RSHA in merklich gereiztem Ton mitteilte, daß nichts weiter zu machen sei. Das Ergebnis war, daß nicht ein einziger bulgarischer Jude deportiert worden oder eines unnatürlichen Todes gestorben war, als im August 1944 beim Heranrücken der Roten Armee die antijüdischen Gesetze annulliert wurden.
Bisher hat meines Wissens niemand versucht, die gerade in dieser Gegend ganz und gar einzigartige Haltung Bulgariens zu erklären. Unwillkürlich denkt man an jenen bulgarischen Kommunisten namens Dimitroff, der zur Zeit von Hitlers Machtergreifung zufällig gerade in Deutschland war und den sich die Nazis aussuchten, als sie einen Täter für den mysteriösen Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 suchten. Im Reichstagsbrandprozeß vor dem Reichsgericht in Leipzig wurde Dimitroff mit Göring konfrontiert, den er so erfolgreich ins Kreuzverhör nahm, daß es war, als führe er die Verhandlungen, und nur ihm war es zu verdanken, daß alle Angeklagten außer van der Lubbe freigesprochen werden mußten. Sein Verhalten gewann ihm die Bewunderung der ganzen Welt, Deutschland nicht ausgeschlossen. »In Deutschland gibt es immerhin noch einen Mann« , sagten die Leute, »aber er ist ein Bulgare.«
Das im Norden von den Deutschen, im Süden von den Italienern besetzte GRIECHENLAND bot keine besonderen Probleme und konnte also abwarten, bis es »an der Reihe war«, »judenrein« zu werden. Im Februar 1943 trafen dann zwei von Eichmanns Spezialisten ein, die Hauptsturmführer Dieter Wisliceny und Alois Brunner, um alles für die Deportation der Juden aus Saloniki vorzubereiten, wo zwei Drittel des griechischen Judentums, etwa 55 000 Menschen, konzentriert waren. Das geschah planmäßig »im Rahmen der Endlösung der Judenfrage in Europa«, wie in ihren von IV-B-4 ausgestellten Papieren vermerkt war. In enger Zusammenarbeit mit einem gewissen Kriegsverwaltungsrat Dr. Max Merten, der die Militärverwaltung des Bezirks repräsentierte, setzten sie sofort den üblichen Judenrat ein, unter Leitung des Oberrabbiners Koretz. Wisliceny, der an der Spitze des Sonderkommandos für Judenangelegenheiten in Saloniki stand, führte den gelben Stern ein und gab unverzüglich bekannt, daß keine Ausnahmen gemacht werden würden. Dr. Merten beförderte die ganze jüdische Bevölkerung in ein Getto, von dem aus sie leicht abtransportiert werden konnte, da es nahe beim Bahnhof lag. Die einzigen privilegierten Kategorien waren Juden mit ausländischen Pässen und, wie gewöhnlich, die Mitglieder des Judenrats – insgesamt nicht mehr als ein paar hundert Personen, die später nach dem Austauschlager Bergen-Belsen gebracht wurden. Es gab keine Möglichkeit zu entkommen – außer der Flucht nach dem Süden, wo sich die Italiener wie üblich weigerten, Juden an die Deutschen auszuliefern –, und die Sicherheit in der italienischen Zone sollte nicht von langer Dauer sein. Die griechische Bevölkerung war bestenfalls indifferent, und einige Partisanengruppen »billigten« sogar die Deportationen. Innerhalb von zwei Monaten traf die ganze Saloniker Gemeinde in Güterzügen mit einer Belegschaft von 2000 bis 2500 Menschen, die fast täglich Saloniki verließen, in Auschwitz ein. Nach dem Zusammenbruch der italienischen Armee wurden im Herbst des gleichen Jahres noch etwa 13 000 Juden aus dem südlichen Teil Griechenlands, aus Athen und von den griechischen Inseln im Eiltempo deportiert. In Auschwitz wurden viele griechische Juden in den sogenannten Todeskommandos verwendet, die die Gaskammern und Krematorien bedienten, und diese waren 1944, als die ungarischen Juden vernichtet und das Getto von Lodz liquidiert wurde, noch am Leben. Gegen Ende des Sommers, als Gerüchte umgingen, daß die Vergasungen bald eingestellt und die Anlagen abgerissen werden sollten, brach eine Revolte aus, eine der wenigen, die überhaupt in den Lagern vorgekommen sind; die Todeskommandos waren wohl zu Recht überzeugt, daß sie die letzten sein würden, die man in die Gaskammern schicken wollte. Der Aufstand endete in einer völligen Katastrophe – nur ein einziger blieb am Leben, davon zu berichten.
Es könnte scheinen, als hätte die Gleichgültigkeit der Griechen gegenüber dem Schicksal ihrer Juden die Befreiung ihres Landes überdauert. Dr. Merten, ein Zeuge der Verteidigung im Eichmann-Prozeß, behauptet heute mit
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