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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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Ländern, in denen die Vollstrecker der »Endlösung« sich mit diesen ihnen unbekannten Verhältnissen konfrontiert sahen. Die kroatische Regierung unter Dr. Ante Pavelic erließ drei Wochen nach ihrer Einsetzung sehr entgegenkommend eine antijüdische Gesetzgebung, und auf die Frage, was mit den paar Dutzend kroatischer Juden in Deutschland geschehen sollte, entgegnete sie, daß sie »für die Abschiebung der Juden nach dem Osten dankbar« wäre. Der Reichsminister des Inneren verlangte, daß Kroatien bis zum Februar 1942 »judenrein« zu sein habe, und Eichmann schickte den Hauptsturmführer Franz Abromeit nach Zagreb, wo er mit dem deutschen Polizeiattaché zusammenarbeiten sollte. Die Formalitäten für die Deportationen wurden von den Kroaten selbst durchgeführt, vornehmlich von der Ustascha, der starken faschistischen Bewegung des Landes, und für jeden deportierten Juden zahlten die Kroaten den Nazis dreißig Mark. Als Entgelt durften sie das Gesamteigentum der Deportierten beschlagnahmen. Dies entsprach dem offiziellen, für alle europäischen Länder geltenden sog. »Territorialprinzip«, demzufolge die Deutschen den betreffenden Ländern den Besitz jedes ermordeten Juden überließen, der sich bei ihnen zur Zeit der »Endlösung« aufhielt, ungeachtet seiner Staatszugehörigkeit. (Die Nazis haben sich keineswegs immer strikt an diese Reglung gehalten – wenn es sich lohnte, gab es mancherlei Möglichkeiten, sie zu umgehen. Deutsche Geschäftsleute konnten z. B. direkt von den Juden kaufen, ehe diese deportiert wurden; und der Einsatzstab Rosenberg, anfänglich zur Beschlagnahme aller Hebraica und Judaica für deutsche antisemitische Forschungsinstitute ermächtigt, dehnte seine Tätigkeit binnen kurzem auf wertvolles Mobiliar und Kunstwerke aus.) Der ursprünglich vorgesehene Termin Februar 1942 ließ sich nicht einhalten, weil Juden aus Kroatien ins italienisch besetzte Gebiet zu fliehen vermochten, aber nach dem Staatsstreich Badoglios erschien in Zagreb Hermann Krumey, ein anderer von Eichmanns Leuten, und im Herbst 1943 waren 30 000 Juden in die Todeslager deportiert.
    Als alles geschehen war, was legal geschehen konnte, fiel den Deutschen auf, daß das Land keineswegs »judenrein« war. In der kroatischen antijüdischen Gesetzgebung gab es einen eigenartigen Paragraphen, der alle Juden zu »Ehrenariern« machte, die einen Beitrag zur »Sache Kroatiens« geleistet hatten. Natürlich war die Zahl dieser Juden in den dazwischenliegenden Jahren beträchtlich gestiegen. Mit anderen Worten, die Reichen, die sich freiwillig von ihrem Vermögen trennten, blieben verschont. Noch interessanter war das vom Nachrichtendienst der SS entdeckte Faktum, daß fast alle Mitglieder der herrschenden Clique, vom Regierungshaupt bis zum Führer der Ustascha, mit jüdischen Frauen verheiratet waren – »jüdisch versippt«, hieß es in dem an Kaltenbrunner gerichteten Schreiben des Sturmbannführers Wilhelm Höttl vom Auslandsnachrichtendienst des RSHA, der für den Jerusalemer Prozeß zunächst als Entlastungszeuge vorgesehen war, dessen Affidavit dann aber von der Anklage verwendet wurde. Die 1500 Juden, die in diesem Gebiet am Leben blieben – 5 Prozent laut Bericht der jugoslawischen Regierung –, waren offenbar sämtlich Mitglieder dieser hochassimilierten und außerordentlich reichen jüdischen Gruppe. Da der Prozentsatz assimilierter Juden im Osten Europas oft auf ungefähr 5 Prozent geschätzt worden ist, ist man versucht zu folgern, daß im Osten die Assimilation, wenn sie überhaupt möglich war, eine viel bessere Chance zum Überleben bot als im übrigen Europa.
    Sehr anders lagen die Dinge im benachbarten SERBIEN , wo die deutsche Wehrmacht fast vom ersten Tag der Besetzung an mit Partisanenkämpfen zu tun hatte, die in dieser Form nur mit den Vorgängen hinter der russischen Front vergleichbar sind. Ich erwähnte bereits den Vorfall, durch den Eichmann mit der Liquidation der serbischen Juden in Verbindung gebracht wurde. Das Urteil gab zu, daß »die üblichen Befehlswege in Judenangelegenheiten in Serbien uns nicht ganz klar geworden sind«; und der Grund dafür ist, daß Eichmanns Büro in diesem Gebiet nicht zuständig war, weil aus Serbien keine Juden deportiert wurden, sondern die deutschen Militärbehörden das »Problem« lösten. Unter dem Vorwand, es handle sich um die vom Partisanenkrieg aufgezwungenen Hinrichtungen von Geiseln, ermordete die Wehrmacht die männliche jüdische Bevölkerung durch

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