Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
Vom Netzwerk:
gelassener Inkonsequenz, er habe erstens von nichts etwas gewußt und zweitens die Juden vor dem Schicksal gerettet, von dem er nichts wußte. Er kam nach dem Kriege ebenso gelassen als Vertreter eines Reisebüros wieder nach Griechenland, wurde verhaftet, kam aber bald wieder frei und konnte nach Deutschland zurückkehren. Sein Fall ist wohl einzigartig, denn Prozesse gegen Kriegsverbrecher haben in allen Ländern außer Deutschland immer mit schweren Strafen geendet. Und wirklich verblüffend war die beeidigte Aussage, die er in Berlin in Gegenwart von Vertretern der Verteidigung wie der Anklage machte. Er behauptete, Eichmann habe in Saloniki bei einem Versuch mitgeholfen, rund 20 000 Frauen und Kinder zu retten, und alles Übel sei von Wisliceny gekommen. Schließlich gab er dann zu, daß vor seiner Vernehmung Eichmanns Bruder, ein Rechtsanwalt aus Linz, sowie eine deutsche Organisation ehemaliger Mitglieder der SS an ihn herangetreten seien. Eichmann selbst bestritt alles – in Saloniki sei er nie gewesen, und den hilfreichen Dr. Merten habe er nie gesehen.
    Eichmann behauptete mehr als einmal, sein Organisationstalent, die in seinem Amt geleistete Koordination von Evakuierungen und Deportationen, sei in Wahrheit den Opfern zugute gekommen und habe ihr Schicksal erleichtert. »Wenn diese Sache einmal gemacht sein mußte«, meinte er, »dann war es besser, wenn Ruhe und Ordnung herrschten und alles klappte.« Nicht einmal sein Verteidiger kam während des Prozesses auf diese Behauptung zurück, die offensichtlich in die gleiche Kategorie gehörte wie seine alberne und eigensinnig festgehaltene Behauptung, er habe Hunderttausenden von Juden das Leben durch »forcierte Auswanderung« gerettet. Dennoch kann man angesichts der Ereignisse in RUMÄNIEN stutzig werden, ob an dieser mörderischen Ordnungsliebe nicht vielleicht doch etwas dran sei. Hier befinden wir uns ebenfalls in einer verkehrten Welt, jedoch im entgegengesetzten Sinne wie in Dänemark, wo sogar Gestapoleute die Befehle aus Berlin zu sabotieren begannen. Die unaussprechlichen Greuel eines spontanen Pogroms gigantischen Ausmaßes waren sogar für die SS zuviel, ja versetzten sie in einen gewissen Schrecken; sie griffen ein, um die schiere Schlächterei zu stoppen, damit das Morden in der Art und Weise vor sich gehen konnte, die sie für zivilisiert hielten.
    Es hat in Europa vor dem Kriege schwerlich ein antisemitischeres Land gegeben als Rumänien, das schon im 19. Jahrhundert für seine infame Behandlung der Juden notorisch war. Durch das Berliner Abkommen hatten die Großmächte 1878 versucht, Einfluß zu nehmen und die rumänische Regierung zur Anerkennung der jüdischen Einwohner des Landes als Staatsangehörige, und sei es als Bürger zweiter Klasse, zu bewegen. Aber sie erreichten nichts, und am Ende des Ersten Weltkrieges waren die rumänischen Juden – mit Ausnahme von einigen hundert sephardischen Familien und einigen Juden aus Deutschland – immer noch im Status geduldeter Ausländer. Es bedurfte der ganzen Macht der Alliierten, die rumänische Regierung bei den Friedensverhandlungen dazu zu »überreden«, einen Minderheitenvertrag zu unterzeichnen und der jüdischen Minderheit die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Diese Konzession an die Weltmeinung schien überflüssig zu werden, als die Rumänen in den Jahren 1937 und 1938 im Vertrauen auf die Macht Hitlerdeutschlands zu der Überzeugung gelangten, sie könnten es jetzt riskieren, die Minderheitenverträge als Schmälerung ihrer »Souveränität« zu kündigen und einigen hunderttausend Juden, etwa einem Viertel der jüdischen Gesamtbevölkerung, die Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen. Zwei Jahre später, im Spätsommer 1940, einige Monate vor Rumäniens Eintritt in den Krieg an der Seite Hitlerdeutschlands, erklärte Marschall Ion Antonescu, der sich gerade mit Hilfe der Eisernen Garde zum Diktator des Landes gemacht hatte, alle Juden für staatenlos, die nicht bereits vor Abschluß der Friedensverträge rumänische Bürger gewesen waren. Die im gleichen Monat erlassene antijüdische Gesetzgebung war die radikalste Europas, Deutschland nicht ausgeschlossen. Die privilegierten Kategorien, Kriegsveteranen und Juden, die bereits vor 1918 rumänische Staatsbürger gewesen waren, umfaßten nicht mehr als 10 000 Menschen, kaum mehr als 1 Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung. Hitler fiel auf, daß Deutschland von den Rumänen übertroffen zu werden drohte, und er sagte

Weitere Kostenlose Bücher