Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
Vom Netzwerk:
Erschießen; Frauen und Kinder wurden dem Kommandeur der Sicherheitspolizei übergeben, einem gewissen Dr. Emanuel Schäfer, der ein spezieller Protegé Heydrichs war und sie in Vergasungswagen umbrachte. Mit Stolz meldete im August 1942 der für die Zivilbevölkerung zuständige Chef der Militärverwaltung beim Wehrmachtsbefehlshaber, Staatsrat Harald Turner, Serbien sei »das einzige Land, in dem sowohl das Juden- wie auch das Zigeunerproblem gelöst« worden sei, und schickte die Vergasungswagen nach Berlin zurück. Man schätzt, daß etwa 5000 Juden zu den Partisanen stießen, einen anderen Weg des Entkommens gab es nicht.
    Schäfer mußte sich nach dem Krieg einem deutschen Strafgericht stellen. Für die Vergasung von 6280 Frauen und Kindern wurde er zu sechs Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Der Militärgouverneur von Serbien, General Franz Böhme, beging Selbstmord, Staatsrat Turner aber wurde der jugoslawischen Regierung ausgeliefert und zum Tode verurteilt. Es ist immer wieder das gleiche: Mörder, die nicht in die Nürnberger Prozesse verwickelt waren und auch nicht an die Länder ausgeliefert werden mußten, in denen sie ihre Verbrechen begangen hatten, kamen entweder nie vor ein Gericht oder begegneten vor deutschen Gerichten denkbar großem »Verständnis«. Die Rechtsprechung im Nachkriegsdeutschland erinnert nur zu sehr an die Weimarer Republik, deren Spezialität es war, politische Morde von selten der radikal antirepublikanischen Rechtsgruppen entweder straffrei zu lassen oder mit geringfügigen Strafen zu belegen.
    Mehr als irgendein anderes Balkanland hatte BULGARIEN Anlaß, dem nationalsozialistischen Deutschland dankbar zu sein, denn es hatte auf Kosten Rumäniens, Jugoslawiens und Griechenlands sein Territorium beträchtlich erweitern können. Bulgarien aber war nicht dankbar; weder die Regierung noch das Volk brachten für die Politik »rücksichtsloser Härte« das entsprechende Verständnis auf. Das zeigte sich nicht nur in der Judenfrage. Die bulgarische Monarchie brauchte sich über die einheimische Faschistenbewegung der Ratnizi keine Sorgen zu machen, denn sie war zahlenmäßig klein und politisch einflußlos, und das Parlament blieb eine allenthalben angesehene Institution, die reibungslos mit dem König zusammenarbeitete. So wagten die Bulgaren die von ihnen verlangte Kriegserklärung an Rußland glatt zu verweigern und nicht einmal pro forma eine Legion von »Freiwilligen« an die Ostfront zu schicken. Am erstaunlichsten ist aber, daß sie allein, mitten in dieser Zone gemischter Bevölkerungen, wo der Antisemitismus in allen Volksgruppen grassierte und lange vor Hitler zur offiziellen Regierungspolitik geworden war, nicht das mindeste »Verständnis für die Judenfrage« besaßen. Zwar hatte sich die bulgarische Armee damit einverstanden erklärt, daß aus den neuerworbenen Gebieten, die unter militärischer Verwaltung standen und deren Bevölkerung antisemitisch war, alle Juden – es waren ungefähr 15 000 – deportiert würden; ob sie jedoch damals bereits wußten, was »Umsiedlung nach dem Osten« tatsächlich bedeutete, ist fraglich. Etwas früher, im Januar 1941, hatte die Regierung sich auch bereit gefunden, einige antijüdische Gesetze zu erlassen, doch diese waren vom Gesichtspunkt der Nazis aus einfach lächerlich: etwa 6000 arbeitsfähige Männer wurden zum Arbeitsdienst eingezogen; getaufte Juden waren ohnehin ungeachtet des Zeitpunkts ihrer Konversion ausgenommen, was natürlich eine »Taufepidemie« zur Folge hatte; weitere 5000 Juden – etwa 10 Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung – erhielten besondere Vergünstigungen; und für jüdische Ärzte und Geschäftsleute wurde ein sehr günstiger Numerus clausus eingeführt, der nach dem Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung in den Städten und nicht nach dem Landesdurchschnitt berechnet war. Nachdem diese Maßnahmen in Kraft getreten waren, erklärten bulgarische Regierungsbeamte öffentlich, daß nunmehr die Dinge zu jedermanns Zufriedenheit endgültig geregelt seien. Die Bulgaren bedurften, wie man sieht, nicht nur der Aufklärung durch die Nazis, wie man »die Judenfrage zu lösen« habe, sondern hatten offenbar keine Ahnung, wie unvereinbar stabile Rechtsverhältnisse mit den Erfordernissen einer totalitären Bewegung sind.
    Die deutschen Behörden müssen eine gewisse Witterung von kommenden Schwierigkeiten gehabt haben. Eichmann schrieb im Januar 1942 einen Brief an das Auswärtige Amt, in dem

Weitere Kostenlose Bücher