Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
gleich zu Anfang ausdrücklich zu er klären, daß die Urteilsfindung auf ihrer eigenen Darstellung des Tatsachenmaterials basiert sei – und sie wären in der Tat verloren gewesen, wenn sie nicht die hiermit verbundene enorme Arbeitslast auf sich genommen hätten. Sie bekamen den komplizierten bürokratischen Aufbau der nazistischen Mordmaschinerie fest in den Griff, so daß die Stellung des Angeklagten verständlich wurde. Im Gegensatz zu der Eröffnungsrede von Herrn Hausner, die bereits als Buch veröffentlicht wurde, ist das Urteil auch für die Historiker von Interesse, nur ist es leider nicht publiziert. Aber die Urteilsfindung – erfreulicherweise frei von jeglicher billigen Rhetorik – hätte die Prozeßführung der Anklage völlig ad absurdum geführt, wenn es den Richtern nicht doch gelungen wäre, eine gewisse Verantwortung für die Verbrechen im Osten für Eichmann zu konstruieren, über das Hauptverbrechen hinaus, das er eingestanden hatte, nämlich, daß er Menschen in den Tod transportiert hatte in vollem Bewußtsein dessen, was er tat.
Vier Punkte standen hauptsächlich zur Diskussion. Da war zunächst die Frage nach Eichmanns Teilnahme an den im Osten von den Einsatzgruppen ausgeführten Massenmorden; die Aufstellung dieser Einheiten war im März 1941 von Heydrich auf einer Konferenz, an der Eichmann teilnahm, beschlossen worden. Da jedoch die Kommandeure der Einsatzgruppen zu der intellektuellen Elite der SS gehörten, während ihre Mannschaften entweder Kriminelle oder zum Strafdienst ab kommandierte Wehrmachtsoldaten waren – niemand konnte sich freiwillig melden –, stand Eichmann mit dieser Phase der »Endlösung« nur insoweit in Zusammenhang, als er die Berichte dieser uniformierten Mörder in Empfang nahm und dann für seine Vorgesetzten zum Rapport zusammenfaßte. Die Be richte waren zwar »streng geheim«, gingen aber hektographiert an 50 bis 70 andere Dienststellen im Reich, in denen natürlich überall irgendein Oberregierungsrat saß, der sie wiederum für seinen Chef zusammenfaßte. Hinzu kam die Aussage von Richter Musmanno, der behauptete, daß Walter Schellenberg- Verfasser des Entwurfs für eine Abmachung zwischen Heydrich und General Walther von Brauchitsch vom Oberkommando der Wehrmacht, des Inhalts, daß »die Einsatzgruppen berechtigt seien, im Rahmen ihres Auftrags und in eigener Verantwortung über die Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen«, also Zivilpersonen zu töten – ihm in Nürnberg in einem Gespräch mitgeteilt habe, Eichmann habe »diese Operationen kontrolliert« und sie sogar »persönlich geleitet«. Die Richter wollten sich »aus Gründen der Vorsicht« auf diese anderweitig nicht bestätigte Erklärung Schellenbergs nicht einlassen und erkannten diesen Beweis nicht an. (Schellenberg muß eine bemerkenswert schlechte Meinung von den Nürnberger Richtern und ihrer Kenntnis des Verwaltungslabyrinths des Dritten Reiches gehabt haben.) So blieb an Belastungsmaterial nichts weiter übrig, als daß Eichmann über die Vorgänge im Osten gut informiert gewesen ist, was ja nie fraglich gewesen war; überraschenderweise zog das Urteil hieraus den Schluß, daß das Material zum Beweis von Eichmanns tatsächlicher Teilnahme ausreichte.
Der zweite Punkt, die Deportation von Juden aus polnischen Gettos nach den nahegelegenen Mordzentralen betreffend, sah viel versprechender aus. Es war ganz »logisch« zu vermuten, daß sich die Tätigkeit des Transportfachmanns auch auf das Gebiet des Generalgouvernements erstreckt haben mußte. Wir wissen jedoch aus vielen anderen Quellen, daß in diesem ganzen Gebiet die Höheren SS- und Polizeiführer das Transportwesen unter sich hatten – zum großen Kummer des Generalgouverneurs Hans Frank, der sich in seinen Tagebüchern, in denen Eichmanns Name überhaupt nicht vorkommt, endlos über Einmischungen in dieser Sache beschwerte. Franz Novak, Eichmanns Transportoffizier, bestätigte als Zeuge der Verteidigung Eichmanns Version: gelegentlich hatten sie natürlich mit den Ostbahnbehörden zu verhandeln, da Transporte aus den westlichen Teilen Europas mit regionalen Operationen koordiniert werden mußten. (Wisliceny hat in Nürnberg diese Verhandlungen ausführlich geschildert. Novak pflegte sich mit dem Reichsbahnministerium in Verbindung zu setzen, das seinerseits die Genehmigung der Wehrmacht einholen mußte, wenn die Zugstrecken ins Kampfgebiet hineinreichten. Die Wehrmacht konnte ein Veto gegen Transporte einlegen.
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