Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
seiner Gegenwart »persönlich« gab. Ein paar Sitzungen später erinnerte er sich daran, daß er gerade zu der Zeit, als das Attentat auf Heydrich verübt wurde, nach Bratislava gereist war. Und zwar fiel ihm dazu ein, daß er als Gast von Sano Mach, dem Innenminister des von den Deutschen abhängigen Satellitenregimes, dort war. (In dem sehr antijüdischen katholischen Kabinett vertrat Mach die deutsche Spielart des Antisemitismus; er weigerte sich, Ausnahmen für getaufte Juden zuzulassen, und war einer der Leute, die für die massenweise Deportation der slowakischen Juden die Hauptverantwortung trugen.) Eichmann konnte sich deshalb so gut daran erinnern, weil es ihm nicht oft passierte, daß er gesellschaftliche Einladungen von Regierungsmitgliedern erhielt: er hatte sich geehrt gefühlt. Mach, so wie sich Eichmann an ihn erinnerte, war ein netter und umgänglicher Mensch, der ihn zum Kegeln einlud. Hatte Eichmann mitten im Krieg wirklich nichts anderes in Bratislawa zu tun, als mit dem Innenminister zu kegeln? Nein, nicht das geringste! »Es war ein Höflichkeitsbesuch.« Er erinnerte sich ganz genau an alles – wie sie kegelten und wie Getränke serviert wurden, gerade als die Nachricht von dem Attentat auf Heydrich durchkam. Vier Monate und 55 Tonbänder nach dieser Sitzung kam Hauptmann Less im Verhör auf diesen speziellen Punkt zurück – und Eichmann erzählte die gleiche Geschichte in nahezu identischen Worten, mit dem Zusatz, dieser Tag sei für ihn »unvergeßlich«, weil sein »Vorgesetzter ermordet worden war«. Diesmal hielt man ihm jedoch ein Dokument vor, und darin stand:
»SS-Obersturmbannführer Eichmann reist im Auftrage des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD in der Zeit vom 26. 5. bis 28. 5. 42 nach der Slowakei, Reisezweck: Besprechung von Fragen im Zuge der z. Z. laufenden Evakuierungsaktion von Juden aus der Slowakei.«
Sofort gab er seinen Irrtum zu:
»Jawohl, das kam von Berlin, da bin ich nicht wegen Kegelspielen hingeschickt worden. Das ist ganz klar.«
Hat er zweimal mit großer Konsequenz über viele Monate hinweg gelogen? Kaum. Evakuierungsaktionen gehörten zum täglichen Einerlei, und was im Gedächtnis haftenblieb, war das Kegeln, war die große Ehre und der Tod des Vorgesetzten. Und es war ganz typisch für Eichmanns »globale Erinnerungen«, daß er sich absolut nicht besinnen konnte, in welches Jahr dieser unvergeßliche Tag fiel, in dem tschechische Patrioten den »Henker« ermordeten.
Hätte ihm ein besseres Gedächtnis zur Verfügung gestanden, so hätte er die ganze Geschichte von Theresienstadt überhaupt nie erzählt. Denn all dies geschah, als die Zeit der »politischen Lösung« vorbei war und die Etappe der »physischen Lösung« begonnen hatte. Es geschah, als er – wie er frei und spontan in einem anderen Zusammenhang zu gab – schon den Führerbefehl zur »Endlösung« kannte. Wenn Heydrich im Jahre 1942 versprach, Böhmen und Mähren »judenrein« zu machen, so konnte das nur bedeuten: Deportierung und Konzentrierung der Juden an Orten, von denen aus sie bequem zu den Mordzentren weitertransportiert werden konnten. Daß Theresienstadt dann doch einem anderen Zweck diente – als Paradestück für die Außenwelt (es war das einzige Getto oder Lager, zu dem Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes zugelassen wurden) –, stand auf einem anderen Blatt; hiervon war Eichmann zur Zeit der Besprechung bei Heydrich kaum unterrichtet, und in jedem Fall standen ihm über solche Dinge weder Rat noch Entscheidung zu.
VI Die Endlösung
Am 22. Juni 1941 griff Hitler die Sowjetunion an, sechs oder acht Wochen danach wurde Eichmann in Berlin zu Heydrich zitiert. Dieser hatte am 31. Juli einen Brief von Hermann Göring bekommen, der ja nicht nur Reichsmarschall, Preußischer Ministerpräsident und Bevollmächtigter für den Vierjahresplan, sondern in der Staatshierarchie (im Unterschied zur Parteiführung) schließlich auch Hitlers Stellvertreter war. In diesem Brief wurde Heydrich beauftragt, »eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa« vorzubereiten und »einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen«. Heydrich war, als er diesen Auftrag erhielt, bereits »seit Jahren damit beauftragt, die Endlösung der Judenfrage in Europa vorzubereiten« (Reitlinger), wie er in einem Brief an das Oberkommando der Wehrmacht vom
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