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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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6. November 1941 erklärte; auch die Massenmorde, die die Einsatzgruppen im Osten seit Beginn des Rußlandfeldzuges praktizierten, geschahen unter seiner Leitung.
    Heydrich eröffnete die Besprechung mit Eichmann »mit einem kleinen Speech« über die Auswanderung (die praktisch zum Stillstand gekommen war, obwohl Himmler das Verbot jüdischer Auswanderung mit Ausnahme von Sonderfällen offiziell erst ein paar Monate später erließ) und sagte dann: »Der Führer hat die physische Vernichtung der Juden befohlen.«
    »Und als ob er jetzt nun die Wirkung seiner Worte prüfen wollte, machte er, ganz gegen seine Gewohnheit, eine lange Pause. Ich weiß es heute noch. Ich hatte im ersten Augenblick es nicht zu ermessen vermocht, die Tragweite, weil er seine Worte so sehr wählte, und dann wußte ich Bescheid und habe nichts darauf gesagt, weil ich dazu nichts mehr sagen konnte. Denn … an solche Sachen, an so eine Gewaltlösung selbst hatte ich nie gedacht gehabt. Damit schwand auch bei mir alles. Alle Arbeit, alle Bemühungen, alles Interesse; da war ich gewissermaßen ausgeblasen. Und dann sagte er zu mir: Eichmann, fahren Sie rauf zu Globocnik, Lublin … Der Reichsführer hat Globocnik [einem der SS- und Polizeiführer] bereits entsprechende Weisungen gegeben, und sehen Sie sich an, wie weit er mit seinem Vorhaben gekommen ist. Er benützt, glaube ich, die russischen Tankgräben hier zum Vernichten der Juden. Das, an das erinnere ich mich noch, denn das werde ich nie vergessen, und mag ich noch so alt werden, diese Sätze, die er mir hier bei dieser Unterredung gesagt hat, die damit auch zu Ende war.«
    In Wirklichkeit hatte Heydrich aber in diesem Interview noch mehr gesagt – in Argentinien erinnerte sich Eichmann noch gut daran, hatte es jedoch in Jerusalem ganz vergessen, sehr zu seinem Nachteil, denn es hatte mit seiner persönlichen Verantwortung für den eigentlichen Vernichtungsprozeß zu tun –: Heydrich hatte nämlich hinzugefügt, daß sein Referat »mit der physischen Liquidierung nichts zu tun habe, sondern seine Aufgabe auf eine rein polizeiliche, d. h. in diesem Fall auf das Erfassungsmäßige beschränkt bleibe« und daß »im Generellen diese Angelegenheit dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt übertragen worden sei«. Im übrigen sei für die Vernichtungsaktion der offizielle Deckname »Endlösung der Judenfrage« zu benutzen.
    Nun gehörte Eichmann keineswegs zu den ersten, die von Hitlers Befehl unterrichtet wurden. Wie erwähnt, hatte Heydrich seit Jahren, vermutlich seit Beginn des Krieges, in dieser Richtung gearbeitet, und Himmler hat behauptet, er sei unmittelbar nach der Niederlage Frankreichs im Sommer 1940 von der endgültigen »Lösung« informiert worden und habe dagegen protestiert. Um den März 1941 herum, sechs Monate etwa vor dem erwähnten Interview Eichmanns mit Heydrich, war die »Massenvernichtung der Juden … bereits in höheren Parteikreisen allgemein bekannt«, wie Victor Brack aus der Kanzlei des Führers in Nürnberg aussagte. Aber Eichmann hatte, wie er in Jerusalem vergeblich zu erklären suchte, niemals zu den höheren Parteikreisen gehört, ihm wurde immer nur gerade so viel mitgeteilt, wie er zur Erledigung ganz bestimmter, fest umrissener Aufgaben wissen mußte. Unter den unteren Befehlsempfängern jedoch war er einer der ersten, die man über diese »streng geheime« Angelegenheit informierte, die auch dann noch »Geheimsache« blieb, als die Kenntnis von der »Endlösung« sich in allen Parteidienststellen, Staatsämtern, in den Industriebetrieben, die mit Sklavenarbeitern zu tun hatten, und zumindest im Offizierskorps der Wehrmacht herum gesprochen hatte. Trotz alledem erfüllte die Geheimhaltungsvorschrift einen praktischen Zweck. Diejenigen, die ausdrücklich von dem Führerbefehl unterrichtet wurden, avancierten in diesem Augenblick von bloßen »Befehlsträgern« zu »Geheimnisträgern«, denen ein besonderer Eid abgenommen wurde. (Die Mitglieder des Sicherheitsdienstes, dem Eichmann seit 1934 angehörte, hatten ohnedies ein besonderes »Schweigegelübde« abzulegen.) Außerdem unterlag jegliche Korrespondenz über diese Angelegenheit einer strikten »Sprachreglung«, und abgesehen von den unverblümten Berichten der Einsatzgruppen erscheinen so eindeutige Worte wie »Ausrottung«, »Liquidierung« oder »Tötung« in den erhaltenen Dokumenten ganz selten. Die vorgeschriebenen Tarnausdrücke für das Morden waren »Endlösung«, »Aussiedlung« und

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