Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Kommandanten der Lager immer entweder schriftlich oder mündlich durch das WVHA mitgeteilt; sie stammten entweder vom Chef dieses Hauptamtes Oswald Pohl oder von Brigadeführer Richard Glücks, der Höß’ direkter Vorgesetzter war. Die »Einzelheiten«, die Eichmann mit Höß in regelmäßigen Abständen zu besprechen hatte, drehten sich um die Tötungskapazität des Lagers: wie viele Zugladungen konnte Auschwitz pro Woche absorbieren, und möglicherweise auch um Erweiterungspläne für die Anlagen. Als Eichmann nun in Lublin ankam, war Globocnik sehr entgegenkommend, und zusammen mit einem seiner Untergebenen führte er Eichmann herum. Sie kamen zu einer Straße, die durch einen Wald führte, rechts davon lag ein gewöhnliches Haus, in dem Arbeiter wohnten. Ein Hauptmann der Ordnungspolizei (vielleicht der Kriminalkommissar Christian Wirth selbst, der unter der Federführung der Kanzlei des Führers mit der technischen Seite der Vergasung von »unheilbar Kranken« betraut gewesen war) begrüßte sie und brachte sie zu einigen kleinen Holzbaracken. Eichmann beschrieb, wie er »mit einer, sagen wir, gewöhnlichen, ungepflegten, … rauhen Stimme« den Cicerone gemacht habe.
»Denn hier würde eine, ein Motor eines russischen U-Bootes arbeiten und die Gase dieses Motors würden hier hinein geführt werden, und dann würden die Juden vergiftet werden. Das war für mich auch ungeheuerlich. Ich bin keine so robuste Natur, die, sagen wir mal, ohne irgendwelche Reagenz irgend etwas über sich in dieser Art … ergehen lassen kann. Wenn ich heute eine klaffende Schnittwunde bei einem Menschen sehe, dann kann ich nicht zusehen. Ich gehöre zu dieser Kategorie von Menschen, so daß man mir oft sagte, ich hätte kein Arzt werden dürfen. Ich weiß es auch jetzt noch, wie ich mir darunter sofort die Sache bildlich darstellte, und daß ich irgendwie auch unsicher in meinem Gehabe wurde. Als ob ich irgendeine aufregende, eine aufregende Sache hinter mir hätte, wie das eben schon mal so vorkommt, daß man nachher wie ein leises inneres Zittern, oder so ähnlich möchte ich es ausdrücken, hat.«
Nun, er hatte diesmal noch Glück gehabt, denn vorerst hatte er nur die Vorbereitungen für die künftigen Kohlenmonoxyd-Kammern von Treblinka zu sehen bekommen, eins der sechs Todeslager im Osten, in denen einige Hunderttausende von Menschen sterben sollten. Nicht lange nach dieser Reise, im Herbst des gleichen Jahres, wurde er von seinem unmittelbaren Vorgesetzten Müller zur Inspektion des Vernichtungszentrums im neueingegliederten Warthegau geschickt. Es war das Todeslager von Kulmhof (Chelmno), wo im Jahre 1944 über 300 000 Juden aus allen Teilen Europas, die man zunächst ins Lodzer Getto »umgesiedelt« hatte, umgebracht wurden. Und hier war die Aktion bereits in vollem Gange, die Methode allerdings anders – an Stelle von Gaskammern wurden fahrbare Vergasungswagen benutzt. Was Eichmann zu sehen bekam, sah so aus: Die Juden befanden sich in einem großen Raum; man befahl ihnen, sich zu entkleiden; dann fuhr ein Lastwagen vor, hielt direkt vor der Tür dieses Raumes, und die nackten Juden mußten in ihn einsteigen. Seine Türen wurden geschlossen, und der Lastwagen fuhr los. Auf die Frage, wie viele Menschen er faßte, sagte Eichmann in Jerusalem:
»Ich weiß es nicht genau zu sagen. Ich habe nicht einmal genau zusehen können, ich habe nicht hingeschaut die ganze Zeit. Ich konnte es nicht, nicht [sic!], mir hat es genügt. Das Schreien, und, und, ich war hier viel zu erregt gewesen und so weiter. Ich sagte das auch Müller bei meiner Berichterstattung. Er hat von meiner Berichterstattung nicht viel profitiert. Ich fuhr dann dem Wagen nach – sicherlich mit einem der Leute dort, die den Weg gewußt haben, und da sah ich das Entsetzlichste, was ich in meinem Leben bis dahin gesehen hatte. Der fuhr an eine längliche Grube, die Türen wurden aufgemacht und heraus wurden Leichen geworfen, als ob sie noch lebten, so geschmeidig waren die Glieder. Wurden reingeworfen, ich sehe noch, wie ein Zivilist mit einer Zange Zähne raus-, rauszieht, und dann bin ich abgehauen. Seit der Zeit konnte ich … stundenlang [im Wagen] sitzen, ohne ein Wort mit meinem Fahrer zu sprechen. Da war ich bedient. Da war ich fertig. Ich weiß nur noch, daß ein Arzt dort, in einem weißen Kittel, mir sagte, ich soll durch ein Guckloch schauen, wie sie im Wagen drin waren. Das habe ich abgelehnt. Ich konnte nicht, ich konnte nichts mehr sagen, ich mußte
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