Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
juristische Ähnlichkeit mit der des oft erwähnten Soldaten auf, der, innerhalb eines normalen gesetzlichen Systems handelnd, Befehle auszuführen verweigern muß, wenn sie seiner bisherigen Erfahrung von Gesetzlichkeit widersprechen, wenn sie »augenscheinlich unrechtmäßig« sind, wie es in § 19b des israelischen Strafgesetzes heißt, der allerdings von dem Gesetz zur Bestrafung der Nazis und ihrer Helfer ausdrücklich außer Kraft gesetzt ist. Die ausführliche Literatur über diesen Gegenstand stützt sich im allgemeinen auf die landläufige, zweideutige Bedeutung des Wortes »Recht«, das manchmal bedeutet: das Recht des Staates als gesetztes, positives Recht, und manchmal: das Recht, das in den Herzen aller Menschen mit der gleichen Stimme sprechen soll. Praktisch gesprochen aber ist es ja in der Tat so, daß »das Kennzeichen eines augenscheinlich unrechtmäßigen Befehls wie eine schwarze Fahne über dem erteilten Befehle wehen« muß »wie ein Warnungszeichen, welches besagt: ›Verboten!‹«. Und in einem prinzipiellen »Unrechtsstaat« wehen die »schwarze Fahne« und dies »Warnungszeichen« eben mit genauso großer »Augenscheinlichkeit« über dem, was normalerweise ein rechtmäßiger Befehl ist, wie in einem Rechtsstaat über der Unrechtmäßigkeit. Sich auf die unzweideutige Stimme des Gewissens zu berufen – oder, in der noch vageren Sprache der Juristen, auf »allgemein-menschliche Gefühle« (Oppenheim – Lauterpacht in: »International Law«, 1952) – weicht der Frage nicht nur aus, sondern enthält ein bewußtes Zurückweichen vor der Auseinandersetzung mit dem zentralen moralischen, rechtlichen und politischen Problem unseres Jahrhunderts.
Nun hat sich Eichmann bei seinen Handlungen gewiß nicht nur von der Überzeugung leiten lassen, daß Himmler neuerdings »verbrecherische« Befehle gab. Dennoch war sein persönliches Motiv, das zweifellos eine Rolle gespielt hat, nicht Fanatismus, sondern eine echte, »maßlose Hitlerverehrung« (wie es Dr. Wilhelm Höttl, ein Zeuge der Verteidigung, nannte) – für den Mann, der es »vom Gefreiten zum Kanzler des Deutschen Reichs« gebracht hatte. Welches Motiv in Eichmann stärker war, seine Bewunderung für Hitler oder seine Entschlossenheit, ein gesetzestreuer Bürger des Dritten Reiches zu bleiben, auch als Deutschland schon in Trümmern lag, ist eine müßige Frage. Beide Motive sollten in den letzten Kriegstagen noch einmal ins Spiel kommen, als er, nach Berlin zurückgekehrt, zu seiner größten Entrüstung sah, daß jedermann um ihn herum sich mit gefälschten Papieren ausstattete, um für die Ankunft der Russen oder der Westmächte gerüstet zu sein. Ein paar Wochen später begann auch Eichmann unter falschem Namen zu reisen, aber da war Hitler schon tot, das »Gesetz des Landes« nicht mehr gültig und er selbst, das betonte er später, nicht mehr an seinen Eid gebunden. Denn der Eid, den die Mitglieder der SS abgelegt hatten, unterschied sich vom soldatischen Eid der Wehrmachtsangehörigen dadurch, daß er sie nur auf Hitler vereidigte und überhaupt nicht auf Deutschland.
Der Fall des Gewissens von Adolf Eichmann, ein zugegebenermaßen komplizierter, doch keineswegs einzigartiger Fall, läßt sich kaum mit dem Fall der deutschen Generäle vergleichen, von denen einer in Nürnberg auf die Frage »Wie war es möglich, daß Sie und alle die anderen ehrbewußten Generäle immer noch mit so fragloser Loyalität einem Mörder gehorchten?« antwortete, daß es nicht die Aufgabe des Soldaten sei, sich zum Richter über seinen Oberbefehlshaber aufzuwerfen. Das möge die Geschichte tun oder Gott im Himmel (so der in Nürnberg hingerichtete General Alfred Jodl). Eichmann, der viel weniger intelligent und ohne nennenswerte Bildung war, besaß wenigstens eine schattenhafte Vorstellung davon, daß nicht der Befehl, sondern das Gesetz sie alle zu Verbrechern gemacht hatte. Der Unterschied zwischen einem Befehl und dem Wort des Führers bestand darin, daß die Gültigkeit des letzteren keine zeitliche und räumliche Begrenzung kannte, während diese Begrenzung das hervorstechende Merkmal des Befehls ist. Hierin liegt auch der eigentliche Grund für die Sintflut von Ausführungsbestimmungen und Verordnungen, die auf den Führerbefehl zur »Endlösung« hin ergangen sind, alle von Rechtsexperten und juristischen Beratern und nicht von bloßen Verwaltungsbeamten ausgearbeitet; dieser Befehl wurde, im Gegensatz zu gewöhnlichen Befehlen, als Gesetz
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