Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Sicherheitspolizei in Dänemark, der in Nürnberg als Belastungszeuge ausgesagt hat, gingen Deportationsbefehle von Himmler schriftlich an Kaltenbrunner, den Chef des RSHA, der dann Müller, den Chef der Gestapo bzw. des Amtes IV im RSHA, davon benachrichtigte; dieser seinerseits gab die Befehle mündlich an seinen Referenten in IV-B-4, also an Eichmann, weiter. Himmler schickte Befehle auch an die in den jeweiligen Gebieten stationierten Höheren SS- und Polizeiführer und benachrichtigte dann Kaltenbrunner entsprechend. Und auch darüber, wie die deportierten Juden zu behandeln seien, wie viele sofort umzubringen und wie viele zur Zwangsarbeit übrigzulassen seien, entschied Himmler: seine Befehle darüber gingen an Pohls WVHA, das sie an Richard Glücks, den Inspekteur der Konzentrations- und Vernichtungslager, weitergab, und dieser wiederum reichte sie an die Kommandanten der Lager weiter. Die Anklage überging diese Dokumentation aus den Nürnberger Prozessen, weil sie ihrer Theorie von Eichmanns außerordentlichen Machtbefugnissen widersprach; die Verteidigung erwähnte Mildners eidesstattliche Erklärungen zwar, doch ohne große Wirkung; Eichmann selbst legte »nach Hinzuziehung von Poliakoff und Reitlinger« siebzehn mehrfarbige Organisationsschemata vor, die wenig zum besseren Verständnis der unübersichtlichen Bürokratie des Dritten Reiches beitrugen, obgleich seine allgemeine Beschreibung »Das Ganze war ja in ewiger Bewegung, in ewigem Fluktuieren gewesen« für jeden plausibel klang, der sich mit der totalitären Staatsform befaßt hat und weiß, daß die monolithische Geschlossenheit dieser Herrschaftsform eine Sage ist. Er erinnerte sich noch vage daran, wie seine Leute, die »Judenberater« in allen besetzten und Satellitenstaaten, ihm Bericht erstattet hatten, welche Maßnahmen »praktisch überhaupt durchführbar« seien, wie er dann darüber »einen Bericht gemacht [habe], und dieser Bericht ist dann genehmigt worden oder verworfen worden«, und wie Müller daraufhin seine Direktiven gab: »Es konnte also in der Praxis dann so sein, daß ein Vorschlag, der von Paris kam, oder ein Vorschlag, der … aus dem Haag kam, 14 Tage später als vom Reichssicherheitshauptamt bestätigte Richtlinie nach Paris bzw. nach dem Haag abging.« Eichmanns Büro hatte im Rahmen der ganzen Operation die Funktion eines äußerst wichtigen Umschlagplatzes, da es jederzeit von ihm und seinen Leuten abhing, wie viele Juden aus einer bestimmten Gegend abtransportiert werden konnten; durch sein Büro lief die endgültige Bestätigung jedes Transports, obgleich nicht er die Entscheidung über den Bestimmungsort hatte. Die Schwierigkeiten jedoch, all die vielen Abfahrts- und Ankunftstermine aufeinander abzustimmen, und der unaufhörliche Ärger über den Kleinkrieg mit Bahnbehörden und Reichsverkehrsministerium wegen des erforderlichen Transportraums, das Kopfzerbrechen, das ihm die Festlegung der Fahrpläne, das Umdirigieren von Zügen nach Lagern mit ausreichender »Aufnahmekapazität« und andererseits die Bereitstellung der genügenden Anzahl von Juden an den Sammelstellen bereitet haben mußte – es kam ja darauf an, keinen Laderaum zu »verschwenden« –, die Sorgen, wie man die Behörden verbündeter und besetzter Länder zur Übernahme der Verhaftungsaktionen veranlassen könne, schließlich die Notwendigkeit, die vielen Vorschriften und Richtlinien bezüglich der verschiedenen Kategorien von Juden, die für jedes Land gesondert festgelegt, aber ständig abgeändert wurden, zu beachten, so daß es gar nicht einfach war, auf dem laufenden zu bleiben – das alles wurde zur Routine, deren Einzelheiten er vergessen hatte, längst ehe man ihn nach Jerusalem brachte.
Was für Hitler, den einen, alleinigen Anstifter der »Endlösung« (noch nie hat eine Verschwörung, wenn es eine war, mit so wenigen Verschwörern und so vielen Vollstreckern operiert), ein Hauptziel des Krieges bedeutete, dem ohne Rücksicht auf wirtschaftliche und militärische Erwägungen unbedingte Priorität zustand, was für Eichmann eine Arbeit war, die ihre Routine und ihr Auf und Ab hatte, war für die Juden ganz buchstäblich der Weltuntergang. Jahrhundertelang waren sie gewohnt gewesen, ihre eigene Geschichte, zu Recht oder zu Unrecht, als eine lange Leidensgeschichte zu betrachten, wie es der Ankläger in seiner Eröffnungsrede zum Prozeß dargestellt hatte; aber hinter dieser Haltung hatte lange Zeit die triumphale Gewißheit »Am Yisrael
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