Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
hätte –, aber gedacht haben die meisten in sehr ähnlicher Weise.
Auf diese ersten Experimente folgte eine Flaute im Deportationsbetrieb, und wir haben gesehen, wie Eichmann seine erzwungene Untätigkeit zu Sandkastenspielen mit Madagaskar benutzte. Doch im März 1941, während der Vorbereitungen für den Krieg gegen Rußland, wurde Eichmann plötzlich die Leitung einer neuen Unterabteilung des RSHA übertragen, genauer gesagt, der Name seines Referats wurde geändert, es hieß jetzt »Judenangelegenheiten – Räumungsangelegenheiten« und nicht mehr »Räumungs- und Umsiedlungsfragen«. Von diesem Augenblick an hätte ihm, obwohl er noch nicht über die »Endlösung« informiert worden war, klar sein müssen, daß nicht nur mit der Auswanderung definitiv Schluß war, sondern daß an ihre Stelle Deportierungen treten sollten. Aber Eichmann war nicht der Typ, Andeutungen zu verstehen, und da ihm niemand direkt gesagt hatte, was los war, dachte er nach wie vor in Begriffen von »verstärkter Auswanderung«. So hatte er zum Beispiel auf einer Konferenz mit Vertretern des Auswärtigen Amtes im Oktober 1940 aufs heftigste gegen den Vorschlag protestiert, die Staatsangehörigkeit aller sich im Ausland befindenden Juden zu annullieren, »weil eine solche Maßnahme geeignet sei, diejenigen Staaten zu beeinflussen, die bisher noch jüdische Einwanderer aufgenommen und Einreisesichtvermerke ausgestellt haben«. Eichmann dachte stets in den engen Grenzen der jeweils gerade gültigen Gesetze und Verordnungen – und die Flut neuer antijüdischer Gesetzgebung brach über die Juden erst herein, nachdem Hitlers Befehl zur »Endlösung« offiziell weitergegeben worden war an diejenigen, die sie verwirklichen sollten. Zur gleichen Zeit wurde beschlossen, daß das Reich absolute Priorität haben und das Reichsgebiet im Eiltempo »judenrein« gemacht werden sollte; daß es dennoch fast zwei Jahre dauerte, bis das erreicht war, ist überraschend. Die vorbereitenden Maßnahmen, die bald als Modell für die anderen europäischen Staaten dienen sollten, liefen in wenigen Monaten an – zuerst die für die »polizeiliche Erfassung« so wichtige Einführung des Judensterns (am 1. September 1941), dann eine Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes, derzufolge ein Jude die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch beim Überschreiten der deutschen Grenze verlor (das »Überschreiten« erfolgte natürlich durch Deportation), und schließlich der Erlaß vom 25. November 1941, daß aller Besitz deutscher Juden, die ihre Staatsbürgerschaft verloren hatten, vom Reich beschlagnahmt wurde. Zur Abrundung dieser Vorbereitungen verzichtete der Justizminister Otto Thierack in einer Übereinkunft mit Himmler auf die Jurisdiktion über »Polen, Russen, Juden und Zigeuner« zugunsten der SS; »ich gehe davon aus, daß die Justiz nur in kleinem Umfange dazu beitragen kann, Angehörige dieses Volkstums auszurotten« (sic!). (Diese bemerkenswert offene Sprache findet sich in einem Brief des Reichsjustizministers vom Oktober 1942 an den Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann.) Etwas veränderte Richtlinien galten für diejenigen, die nach Theresienstadt deportiert wurden, denn da Theresienstadt im Reichsgebiet lag, wurden die dorthin deportierten Juden nicht automatisch staatenlos. Für die »privilegierten Kategorien« holte man ein altes Gesetz von 1933 aus der Schublade, das der Regierung das Recht zur Konfiskation von Eigentum zusprach, das »volks- und staatsfeindlicher« Betätigung gedient hatte. Dies war die bei Beschlagnahmeaktionen gegenüber politischen Gefangenen in den Konzentrationslagern übliche Reglung; obwohl die Juden an sich nicht zu dieser Kategorie gehörten – alle Konzentrationslager in Deutschland und Österreich waren im Herbst 1942 »judenrein« –, bedurfte es nur noch einer weiteren Verordnung, die dann im März 1942 erlassen wurde, um alle deportierten Juden zu »volks- und staatsfeindlichen« Elementen zu erklären. Die Nazis nahmen ihre eigene Gesetzgebung sehr ernst, und obwohl sie untereinander vom »Getto Theresienstadt« oder vom »Altersgetto« redeten, war Theresienstadt doch offiziell als Konzentrationslager klassifiziert, und die einzigen, die das nicht wußten – man mochte die Gefühle der »Sonderfälle« nicht verletzen, für die jener »Wohnsitz« reserviert war –, waren die Insassen. Und um sicherzugehen, daß die dorthin gebrachten Juden keinen Verdacht schöpften, wurde die Reichsvereinigung der Juden
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