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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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meine … äh … Wenn das stimmt, Tante Mine, ist guter Rat teuer.«
    »Erstens:
Das Wort ›wenn‹ kann du dir getrost sparen, Tom. Hin und wieder geschehen eben Dinge,
für die es keine Erklärung gibt. Und vor allem: Du darfst jetzt nicht den Kopf verlieren.«
    Leichter
gesagt als getan, dachte Sydow, dem der Gedanke, dass seine Schwester unter den
Lebenden weilte, beinahe den Verstand raubte. »Schön und gut – aber so etwas muss
man erst einmal verdauen.«
    »Mag sein,
mein Junge!«, bekräftigte das zierliche, weißhaarige und mit dunklem Hut sowie Rüschenbluse
und Brosche bekleidete Mütterchen, welches den Eindruck erweckte, die Gebrüder Grimm
hätten sich von ihr inspirieren lassen. »Das ist aber noch lange kein Grund, den
Kopf hängen zu lassen. Ich bin mir sicher, es gibt eine Erklärung dafür.«
    Aber klar
doch, die gab es immer. Sydows Miene, in der die neuerliche Hiobsbotschaft deutliche
Spuren hinterlassen hatte, verhärtete sich, und ein Ausdruck der Ratlosigkeit stahl
sich in seinen Blick. An dem, was Frau Pasewalk berichtet hatte, bestand kein Zweifel,
und wenn, war er mit der Beschreibung, welche die Rentnerin von der Unbekannten
gab, hinfällig geworden.
    Alles passte,
bis ins Detail.
    Somit stand
fest, dass es sich bei der Frau, auf die er bei der Beerdigung seiner Tante aufmerksam
geworden war, um die 42-jährige Agnes von Sydow handelte. An dieser Tatsache gab
es nichts zu rütteln, und obwohl dem so war, hatte er Skrupel, sie als seine Schwester
zu bezeichnen. Agnes, der widerborstige, ungebärdige und zuweilen auch ungezogene
Wildfang, gehörte der Vergangenheit an, und es gab nichts, was ihn mit ihr verband.
Was blieb, war eine Frau jenseits der Vierzig, in deren Vita eine Lücke von zwei
Jahrzehnten klaffte. Eine Frau, die ihr Gesicht hinter einer Sonnenbrille versteckte,
adrette Kleidung bevorzugte und auch sonst alles daran setzte, um attraktiv und
anziehend zu wirken. Ein Phantom, so abgebrüht, dass es ihm geglückt war, ihn, den
um sieben Jahre älteren Bruder, links liegen zu lassen und so zu tun, als habe es
diesen Bruder nie gegeben.
    Sydows Atem
beschleunigte sich, und obwohl er dies zu vermeiden trachtete, begann die Hand,
die das Schwarz-Weiß-Foto aus seiner Brusttasche zog, zu zittern. ›24. Dezember
1944.‹ Vater und sein erklärter Liebling, friedlich vereint unterm Weihnachtsbaum.
Ribbentrops [41] Handlanger
im Zweireiher, die Dame des Hauses in einer eng anliegenden Uniform. Sydows Mundwinkel
verformten sich. Agnes war immer schon darauf bedacht gewesen, aufzufallen, wenngleich
ihr Bestreben, Marlene Dietrich zu kopieren, ziemlich in die Binsen gegangen war.
Um den Aberwitz auf die Spitze zu treiben, hatte sie sogar versucht, die Stimme
der Diva zu imitieren, was bei Vater, einem Dietrich-Bewunderer, wahre Begeisterungsstürme
hervorgerufen hatte. Wie so vieles, wovon sich Agnes hatte begeistern lassen, war
auch diese Manie nur von kurzer Dauer gewesen, unter anderem, weil die Dietrich
bei Goebbels in Ungnade gefallen und ins gegnerische, will heißen amerikanische,
Lager übergelaufen war. Nun gut, bekanntlich hatte sie ›noch einen Koffer in Berlin‹ [42] , was den Berlinern,
die ihr den Frontenwechsel immer noch nicht verziehen hatten, allerdings ziemlich
schnuppe zu sein schien.
    ›Du kannst
dir vorstellen, Luise, dass ich beginne, mir Sorgen zu machen.‹ Treffend erkannt,
Vater. Schon damals, vor knapp 18 Jahren, hatte der Augapfel seines alten Herrn
Anlass zur Sorge gegeben. Moderat ausgedrückt. Sydow schüttelte fassungslos den
Kopf. War Vater wirklich so naiv gewesen, dass ihm nicht klar wurde, auf was Agnes
sich da eingelassen hatte? Oder hatte er die Wahrheit ignoriert? Und außerdem: Wie
weit war er selbst in das Unrecht verstrickt, an dem seine Vorgesetzten mitgewirkt
hatten, war er Mitwisser, Mitläufer oder gar Mittäter gewesen?
    Einerlei.
Wieder einmal, wenngleich auf besondere Art und Weise, war er mit der Vergangenheit
konfrontiert worden. Ein Dilemma, das sich wie ein roter Faden durch sein Leben
zog. Sydows Kopf sackte nach vorn, und bleierne Müdigkeit machte sich in ihm breit.
Allmählich bekam er das Gefühl, dass ein Fluch auf ihm lastete und er fragte sich,
ob er imstande sein würde, ihn abzuschütteln.
    »Kopf hoch,
mein Junge, wird schon werden.«
    Tief in
Gedanken, tätschelte Sydow die Hand, welche auf seiner Schulter ruhte. Es tat gut,
jemanden zu kennen, der ihn verstand, der ihn von Kindesbeinen an kannte, seine
Gedanken

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