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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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erriet, Ängste und Befürchtungen mit ihm teilte. »Ihr Optimismus in Ehren,
Tante Mine, aber was mich betrifft, bin ich mit meinem Latein am Ende.«
    »Den Kopf
in den Sand stecken, wäre ja noch schöner. Nee, Tom, so haben wir nicht gewettet!«
    »Und was,
bitte schön, sollte ich Ihrer Meinung nach tun?«
    »Nach ihr
suchen, was denn sonst!«
    »Fragt sich,
was mir das bringt.«
    »Na, du
machst mir vielleicht Spaß, mein Junge!«, wetterte die Kriegerwitwe, eine der Wenigen,
die zeitlebens am Lützow-Platz gewohnt hatten. »Heißt das, du hast vor, die Hände
in den Schoß zu legen?«
    Sydow wich
einer Antwort aus. »Wissen Sie, was ich mich frage?«, stieß er nach längerem Grübeln
hervor, den Blick auf das Portal des Präsidiums und das Schild mit der Aufschrift
›Abteilung K – Kriminalpolizei‹ gelenkt, wo die Rentnerin Posten bezogen und auf
ihn gewartet hatte.
    »Wie es
kommt, dass deine Schwester für tot erklärt worden ist?«, kam die alte Dame einer
Erläuterung vonseiten ihres Gesprächspartners zuvor, sah ihm in die Augen und ließ
die Hand, an der ihr Ehering steckte, von Sydows Schulter gleiten. »Das, lieber
Tom, frage ich mich ehrlich gesagt auch. Weiß Gott, ich hätte schwören können …
Was heißt überhaupt ›ich hätte‹? Schließlich war ich es, die deinen Vater und …
und die Frau, die wir für Agnes hielten, entdeckt hat. Eine von denjenigen, die
sich ein Herz gefasst und mit bloßen Händen in die Keller vorgearbeitet haben, um
einen Leichnam nach dem anderen auszubuddeln. Und wozu? Damit die bemitleidenswerten
Kreaturen mit Kalk übergossen und in Massengräber gebettet wurden.« Hermine Pasewalk
geriet ins Stocken, und sie hatte Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken. »Dein armer
Vater, so zu enden hat er nicht verdient.«
    Jetzt war
es an Sydow, die Trostspenderin aus Kindheitstagen aufzurichten, und obwohl er sich
mit Gefühlsbekundungen schwertat, schloss er die alte Frau in seine Arme. »Tut mir
leid, Tante Mine«, flüsterte er ihr ins Ohr, »wenn ich gewusst hätte, wie nahe Ihnen
die Sache immer noch …«
    »Tja, so
ist das nun mal: Tage wie den 3. Februar vergisst man nie.« Hermine Pasewalk löste
sich aus Sydows Umarmung, umklammerte ihre Handtasche und sprach: »Was glaubst du,
wie oft ich daran gedacht habe. Schrecklich, kann ich da nur sagen. Einfach entsetzlich,
mit ansehen zu müssen, wie sie die armen Teufel unter dem Geröll hervorgezerrt haben.
Mitzuerleben, in welch grauenhaftem Zustand sie waren. Festzustellen, wie wenig
ein Menschenleben zählt. Du kannst froh sein, Tom, dass dir so etwas erspart geblieben
ist.«
    Sydow behielt
die Antwort, welche ihm auf der Zunge lag, für sich. Wusste er doch zu gut, was
es hieß, lebendig begraben zu sein. Und was es hieß, einen Menschen, den man liebte,
zu verlieren. Kaum ein Tag, an dem nicht auch er an den V2-Angriff dachte, bei dem
Rebecca, seine Verlobte, ums Leben gekommen war. Was blieb, war ein Ring gewesen,
ein Ring und der Anblick ihrer Hand, die aus einem Berg von Schutt, Trümmern und
Geröll hervorragte.
    »Um die
Frage, die dir auf der Zunge liegt, zu beantworten«, nahm Hermine Pasewalk in der
für sie typischen, teils mitfühlenden, teils anspornenden Art den Gesprächsfaden
wieder auf, »es ist mir ein Rätsel, wie … wie …«
    Die Rentnerin
suchte nach Worten, fand sie aber offenbar nicht. »Wie Agnes es fertiggebracht hat,
ihre Spur zu verwischen? Wenn ich ehrlich bin, frage ich mich das auch. Die gleiche
Größe, die gleiche Figur, der gleiche Rock, der schicke Wintermantel – nie und nimmer
wäre ich auf die Idee gekommen, die Frau neben deinem Vater könne nicht deine Schwester
sein.«
    »Und das
… und ihr Gesicht?«
    »Nur keine
Scheu, Tom, irgendwann mussten wir ja mal darüber reden.« Die 82-Jährige, scheinbar
um Jahre gealtert, gab sich einen Ruck und berichtete: »Ihr Gesicht, sofern man
es als solches bezeichnen kann, war nicht mehr zu erkennen. Mein Gott, was war das
für eine Hitze gewesen! Und das, obwohl längst Entwarnung gegeben worden war. Wir
waren schweißgebadet, bekamen kaum noch Luft. Die Wände anzufassen wäre glatter
Selbstmord gewesen, es gab nichts, rein gar nichts, woran man sich festhalten konnte,
kein Quadratmeter Boden, der unversehrt geblieben war.«
    »Mit anderen
Worten: Ihr Gesicht – das Gesicht der Frau, die neben Vater saß, wollte ich sagen
– war nicht wiederzuerkennen.« Für seine Verhältnisse ausgesprochen zurückhaltend,
ließ Sydow einige

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