Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
scheint
so, als sei Jürgen ein bisschen voreilig gewesen. Auf gut Deutsch – er ist zurückgepfiffen
worden. Vom Intendanten persönlich. Begründung: Morell wolle sich nur wichtigmachen.«
»Was, wie
wir alle wissen, nicht der Wahrheit entspricht.«
»Genau,
Dicker.« Die Klinke in der Hand, hielt Sydow inne. »Jürgen sagt, die Sache habe
ihm keine Ruhe gelassen. Rosenzweig habe Angst gehabt und behauptet, sein Leben
hänge an einem seidenen …«
»Wie bitte?
Was hast du gerade gesagt?«
»Was ist
denn los mit dir, Kroko? Du machst ein Gesicht, als sei Doktor Mabuse [45] hinter dir her!«
»Der Name,
den du genannt hast, Tom. Wie lautet er?«
»Ach, das
meinst du! Morell heißt eigentlich Rosenzweig, David Rosenzweig. Und ist Jude.«
»Ein Pseudonym,
ich verstehe.«
»Nicht was
du denkst, Theo, die Zeiten sind hoffentlich vorbei. Soweit ich weiß, wollte sein
Alter, dass er Buchhalter wird. Damit hatte Theo aber nichts am Hut. Er wollte lieber
Journalist werden, fing an, für alle möglichen Zeitungen Artikel zu schreiben. Aus
Angst, sein Vater werde ihm an den Kragen gehen, hat er sich dann einfach ein Pseudonym
zugelegt.« Sydow öffnete die Tür und sah Krokowski fragend an. »Wieso fragst du?«
»Vor einer
guten halben Stunde hat ein gewisser David Rosenzweig angerufen. Er wollte dich
dringend sprechen.«
»Wenn ich
Zeit hätte, Eduard«, knirschte Sydow, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, »würde
ich dir an die Gurgel gehen. Und? Was hat er gesagt?«
Krokowski
schlug die Augen nieder und flüsterte: »Nichts. Halt, stimmt nicht ganz. Er hat
gesagt, er würde später noch mal anrufen.« Krokowski hob die Schultern und kehrte
die Handflächen nach oben. »Tut mir leid, Tom – und was jetzt?«
»Was mich
betrifft, werde ich erst mal zum Zahnarzt gehen«, jammerte Peters, der sich offenbar
ausgetobt hatte, und erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl. »Und du?«
»Da fragst
du noch?«, erwiderte Sydow, griff sich an die Stirn und eilte zurück zum Telefon,
um seine Frau anzurufen. »Du, Herr Meisterdetektiv, wirst dich schleunigst in Morells
Redaktion begeben, um den Herren und Damen Journalisten auf den Zahn zu fühlen.
Und wenn du schon dabei bist, sei so gut und mache einen Abstecher ins ›Excelsior‹.
Wer weiß, vielleicht kriegen wir noch mehr über die Tote raus.«
»Und du?«
Sydow gab
einen lauten Seufzer von sich. »Was mich betrifft, werde ich erst mal Lea anrufen.
Und zusehen, dass ich rechtzeitig zu meinem Rendezvous komme.« Ohne einen Gedanken
an mögliche Konsequenzen zu verschwenden, griff Sydow zum Hörer und begann zu wählen.
»Na warte, Theo«, murmelte er vor sich hin, als am anderen Ende das Freizeichen
ertönte. »Wenn ich dich kriege, kannst du dich auf was gefasst machen!«
13
Berlin-Wannsee, Seestraße │ 16:40 h
Es gab Leute, die ihr auf Anhieb
sympathisch waren, solche, denen sie am liebsten Gift verabreichen würde und wiederum
solche, aus denen sie nicht schlau wurde. Was Abigail Wentworth, Toms Mutter, betraf,
musste Lea nicht lange nachdenken. Sie gehörte zur dritten Kategorie, und nichts
deutete darauf hin, dass sich dies ändern würde.
Nicht etwa,
dass sie auf Distanz gegangen war. Davon konnte keine Rede sein. Abigail hatte ihr
das ›Du‹ angeboten, für Leute ihres Schlages ungewöhnlich, wenn nicht gar unerhört.
Darüber hinaus hatte die 73-jährige, adrett gekleidete und sorgfältig frisierte
Angehörige der britischen Hocharistokratie alles unterlassen, was irgendwie Anstoß
erregen konnte, sich betont jovial gegeben und das Klischee vom dünkelhaften Auftreten
ihrer Standesgenossen Lügen gestraft. Überhaupt war Lea angenehm überrascht gewesen,
ein Eindruck, der sich jedoch bald verflüchtigte.
Da war etwas
an dieser Frau, das sie irritierte, und sie hätte zu gerne gewusst, was. An der
Kleidung, dezent, unprätentiös und beinahe schlicht, konnte es nicht liegen. Ihre
Schwiegermutter trug einen breitkrempigen Hut, ein dem Anlass angemessenes dunkles
Kostüm mit weißer Bordüre und eine silbergraue Bluse. Sie war weder hochnäsig noch
herablassend oder gar abweisend. Sie war beinahe liebenswürdig. Aber nur beinahe.
Hinter der
Fassade, welche ihre Schwiegermutter zur Schau trug, verbarg sich eine andere Person.
Das merkte man sofort. Tom hatte nie viel von ihr erzählt, nur dann, wenn es nicht
zu umgehen war. Dass sie jedoch nicht mit offenen Karten spielte, ihre Meinung für
sich behielt und darauf bedacht war, sich keine
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