Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Herr Schlossgärtner dran. Glaub mir, altes Haus: Die machen das nicht
zum ersten Mal.«
»Irre ich
mich, Tom, oder ist das LKA dazu da, Verbrechen aufzuklären?«
»Gott Jahwe
erhalte dir deine Blauäugigkeit. Was schätzt du, wie viele alte Kameraden befinden
sich noch – oder wieder – in Diensten von Vater Staat? Ein paar Dutzend, Hunderte,
Tausende – oder mehr?« Sydow machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Einmal
SS, immer SS – darauf kannst du Gift nehmen.«
»Das Gleiche,
Herr Hauptkommissar, hat mir Luise auch gesagt.«
»Na, dann
weißt du ja Bescheid.« Ohne auf das Knacken, das aus dem nahegelegenen Gebüsch drang,
zu achten, warf Sydow einen Blick auf die Karteikarte, die er nach wie vor in der
linken Hand hielt. »›Standartenführer Eichmann befindet sich nicht in Ägypten, sondern
hält sich unter dem Decknamen Clemens in Argentinien auf. Die Adresse von E. ist
beim Chefredakteur der deutschen Zeitung in Argentinien ›Der Weg‹ bekannt.‹ Niedergeschrieben
am 24. Juni 1952. Ich glaube, ich muss gleich kotzen.«
»Sag mir
lieber, was ich tun soll.«
»Volle Deckung
nehmen, was denn sonst?«
»Und die
Karteikarte?«
»Der Stein,
der alles ins Rollen gebracht hat? Mit deiner Erlaubnis werde ich ihn mir unter
den Nagel reißen.« Sydow warf Morell einen raschen Seitenblick zu, verpasste ihm
einen Schubs und ließ das Dokument, hinter dem in Kürze nicht nur der BND, sondern
vermutlich auch der Mossad und die CIA her sein würden, in seiner Brusttasche verschwinden.
»Um Schlimmeres zu verhüten, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Damit wir
uns richtig verstehen, Tom – mir ist klar, dass es Leute gibt, die nichts mehr fürchten,
als von Eichmann als Mittäter benannt zu werden. Parole: Lieber ein untergetauchter
SS-Obersturmbannführer als ein geständiger Massenmörder.« Morell griff nach seinem
Flakon, setzte ihn an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck. »Logisch, dass
die Herrschaften schlaflose Nächte haben.«
»Na also,
dann sind wir uns ja …«
»Mir ist
ebenso klar, dass es BND-Mitarbeiter gibt, die es vorziehen, Gras über die Vergangenheit
wachsen zu lassen.«
»Genau meine
Rede.«
»Eines aber,
mein lieber Tom, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.«
»Und das
wäre?«
»Dass der
Arm dieser Verbrecher so weit reicht, dass sie es fertigbringen, sowohl den Generalstaatsanwalt
als auch das LKA für ihre Zwecke einzuspannen. Wenn das wahr wäre, Tom, dann …«
»Dann?«
»Dann wären
wir wieder da, wo wir vor 17 Jahren aufgehört haben. Dann wäre das Netz, das Himmler& Co. gesponnen haben, immer noch intakt.«
»Gesetzt
den Fall, es wäre so – würde dich das wundern?«
»Darauf
möchte ich jetzt nicht antworten.« Morell leerte den Flakon und steckte ihn wieder
ein. »Auf die Gefahr, dass du mich für naiv hältst, Tom, aber ich bin der Meinung,
dass die Zeiten, in denen die Organe dieses Landes aus Mördern, Henkern und Sadisten
bestanden, unwiderruflich vorbei …«
Nur ein
Wort, und Morells Äußerung wäre komplett gewesen, nur ein einziges, aus vier Buchstaben
bestehendes Wort. Mag sein, dass Morell es noch aussprach, hervorstieß oder mit
letzter Kraft hervorwürgte. An dem, was nun geschah, änderte es jedoch nichts.
Fast schien
es, als habe Morell nur innegehalten, in der Absicht, das Gesagte zu revidieren.
Saß er doch immer noch so da wie zuvor, die Hände auf den Knien und die Augen auf
die Marmorskulptur von Königin Luise gerichtet, welche hinter einer Linde hervorlugte.
Um zu begreifen, dass der Eindruck trog, brauchte Sydow mehrere Sekunden, und als
es so weit war, begann sich Morells Hemd bereits zu röten.
Starr vor
Schreck, wanderte Sydows Blick nach links. Noch immer saß Morell neben ihm, den
Mund halb offen und den Kopf leicht zur Seite geneigt.
Saß einfach
da und rührte sich nicht von der Stelle.
Dann aber,
eine halbe Ewigkeit später, sackte er in sich zusammen und fiel von der Bank.
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Berlin-Charlottenburg, Redaktion
der größten Boulevardzeitung Berlins │ 17:25 h
»Muss das sein, dass Sie ausgerechnet
jetzt aufkreuzen? Sie sehen doch, ich habe zu tun!«
»Dann sitzen
wir ja im gleichen Boot.« Ohne abzuwarten, bis ihn der Chefredakteur von Berlins
größter Boulevardzeitung dazu einlud, ließ sich Krokowski auf den nächstbesten Sessel
fallen, zückte seinen Notizblock und schlug mit ostentativer Gelassenheit die Beine
übereinander. Das Beste war, sich erst einmal in Geduld zu üben, und
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