Eidernebel
Swensen.
»Hier!«, sagt Colditz, der unbemerkt in den Raum getreten ist und mit dem Finger auf einen Knopf am Rekorder drückt. »Die Pause-Taste.«
»Guckt euch das an! Das ist nicht zu glauben«, platzt es aus Swensen heraus, als er sich das Bild auf dem Monitor aus der Nähe anschaut.
»Was gibt’s denn zu sehen?«, fragt Colditz neugierig.
»Die Frau, die da am Tisch sitzt ist eindeutig unser Mordopfer Franziska Giese! Und der Typ auf der anderen Seite, der neben dem Weißkittel sitzt, das ist dieser Zernitz, der Gebietszentralleiter von Libo!«
Colditz starrt ungläubig auf den Monitor und fragt außer sich: »Wie kommt ihr denn an diese Aufzeichnung?«
»Die DVD steckte in einer der Boxen dort auf dem Tisch«, klärt Swensen auf.
»Das würde ja bedeuten …«
»Das bedeutet, dass unser lieber Herr Rösener die Libo-Filiale in Husum überwacht haben muss. Und ich würde schwören, wir finden noch mehr Überwachungsfilme in seinen Boxen.«
Swensen geht zum Tisch hinüber, öffnet eine Box und klappt sich durch die Silberscheibenreihe.
»Diese DVDs sind mit Friedrichstadt und einem Datum beschriftet.«
Jetzt greift auch Colditz nach einer der Boxen und blättert mit Swensen um die Wette nach Beschriftungen.
»Ich geh wieder an die Arbeit, für die ich eigentlich hier bin«, sagt Hollmann grinsend und marschiert zu Tür hinaus. »Ich denke, ihr habt erst mal genug zu tun.«
»Hier gibt es St.-Peter-Ording-DVDs«, meldet Swensen.
»Wie ich das einschätze, geht das klar über eine normale Videoüberwachung in Verkaufsräumen hinaus«, knurrt Colditz wütend. »Das sieht für mich nach einer Riesensauerei aus.«
»Das sehe ich genauso«, stimmt Swensen zu. »Die haben von Rösener systematisch ihre Belegschaft überwachen lassen.«
»Was meinst du mit ›Die‹?«
»Das kann nicht ohne Wissen von führenden Leuten aus der Geschäftsleitung in Auftrag gegeben worden sein. Bei den Ermittlungen in den Libo-Filialen hatte ich nicht den Eindruck, dass einer der Filialleiter darüber informiert war. Die sind meistens auch nicht viel besser dran als ihre Mitarbeiterinnen.«
»Meinst du, diese Überwachungen könnten etwas mit unseren Mordfällen zu tun haben?«
»Aber hallo! Jede von den drei Ermordeten wollte in ihrer Filiale einen Betriebsrat einführen, das kann kein Zufall sein.«
»Ich weiß nicht, Jan. Den Libo-Konzern kann man doch nicht mit der Mafia vergleichen, die aufmüpfige Mitarbeiterinnen einfach umlegen lässt.«
»Das klingt zwar einleuchtend, Jean-Claude, aber das gleiche Argument habe ich seinerzeit, fast wortwörtlich, von diesem Zernitz gehört. Damals konnte der mich noch überzeugen, aber da wusste ich auch noch nicht, dass dieser Einzelhandelskonzern seine Mitarbeiter in krimineller Weise überwachen lässt. Zernitz ist der Typ, den wir eben bei der merkwürdigen Unterredung mit unserem Mordopfer gesehen haben. Der Mann ist Gebietszentralleiter für die gesamten Libo-Filialen in Schleswig-Holstein. Der andere Mann ist sein Stellvertreter, ein gewisser Konrad Hähnle. Ich finde, ich sollte diesen beiden blitzsauberen Herren einen Besuch abstatten und sie mit den Tatsachen konfrontieren.«
»Okay, machen wir Nägel mit Köpfen«, sagt Colditz nach kurzer Überlegung. »Ich packe die gesamten DVDs ein und lasse sie so schnell wie möglich bei uns in Husum auswerten. Du nimmst dir diesen Zernitz und seinen Stellvertreter vor, Jan. Aber mach das bitte nicht im Alleingang, nimm unbedingt Mielke oder Silvia mit. Und ruft mich sofort an, wenn ihr etwas habt.«
*
»Man sieht sich bekanntermaßen immer zweimal im Leben«, stichelt Stephan Mielke, nachdem ihm der Gebietsleiter von Libo die Hand gereicht hat. »Übrigens einer der legendären Sätze aus dem Vermächtnis des Ministerpräsidenten Uwe Barschel, Gott hab ihn selig!«
»Soll das ein Scherz sein, oder meinen Sie das etwa als Drohung, Herr Kommissar?«, fragt Peter Zernitz und über sein kantiges Gesicht huscht ein verlegenes Lächeln, bevor es wieder zur Maske gefriert.
»Die Kriminalpolizei hat meistens wenig Grund zum Scherzen«, ergänzt Swensen mit unterschwelligem Druck in der Stimme. »Besonders dann nicht, wenn sie bei einer Mordermittlung belogen worden ist.«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit meinen.« Die Stimme des Gebietszentralleiters klingt gepresst, während er sich Hilfe suchend nach dem Mann umsieht, der etwas abseits vom Schreibtisch in einem Ledersessel sitzt. »Hähnle, wissen Sie wovon
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