Eidernebel
die Herren reden?«
Der Mann zieht die leicht geschwungenen Augenbrauen hoch und zuckt nur mit den Schultern.
»Okay, dann werde ich Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen«, sagt Swensen scharf und zieht mehrere geknickte Zettel aus der Jackentasche, entfaltet sie und beginnt die Notizen vorzulesen.
»Wenn Sie mit dem erhobenen Mittelfinger durch die Filiale rennen, wie würden Sie so was denn nennen, Frau Giese? Für mich sind das Wahnvorstellungen, werte Frau!«
Swensen setzt eine Pause und schaut dem Gebietsleiter ins Gesicht. Der sitzt mit zusammengekniffenen Augen hinter dem Schreibtisch. Eine sichtbare Röte hat sich auf Wangen und Stirn gebildet. Die Hände sind zu Fäusten geballt.
»Sie wollen mir hier etwas anhängen, unter allen Umständen«, fährt der Hauptkommissar fort vom Zettel abzulesen. »Und zwar nur, weil ich in diesem Saftladen einen Betriebsrat einrichten will.«
»Woher haben Sie das?«, brüllt Zernitz außer sich, springt vom Stuhl auf und läuft getrieben an der Fensterfront hin und her. Ohne Kontrolle stößt er einen Satz nach dem anderen aus: »Das …davon können Sie gar nichts wissen! Das ist illegal! Das können sich nur illegal besorgt haben! Sie haben unseren Betrieb ausspioniert … ohne einen ersichtlichen Grund! Das wird ein Nachspiel haben, da können Sie sich sicher sein!«
Für Swensen kommt der Wutausbruch völlig unerwartet, er folgt gespannt dem vermeintlichen Schauspiel von Zernitz, der wie Rilkes Panther vor den Fenstern seine Kreise dreht.
»Sie können hier noch so gekonnt den Unwissenden mimen, Herr Zernitz. Fakt ist, als wir Sie das letzte Mal befragt haben, versicherten Sie uns hoch und heilig, Frau Giese wäre gekündigt worden, weil sie gestohlen haben soll …«
»Daran habe ich auch nichts zu korrigieren!«
»Jetzt stellt sich heraus, Frau Giese wollte doch einen Betriebsrat gründen und Sie wussten davon. Damals haben Sie das weit von sich gewiesen.«
»Du beantwortest ab sofort gar nichts mehr, Peter!«, unterbricht der zweite Libo-Mann, der aus dem Sessel aufsteht, sich Zernitz’ Fenstermarsch in den Weg stellt und dabei an die Kommissare gewandt feststellt: »Ohne einen Anwalt beantworten wir keine einzige Frage mehr!«
»Das ist Ihr gutes Recht«, bestätigt der Hauptkommissar. »Aber dann dürfen Sie uns beide mit auf die Husumer Inspektion folgen, und zwar sofort! Wir werden unser kleines Verhör dort mit Ihnen und Ihrem Anwalt fortsetzen.«
»Das geht nicht!«, bellt Zernitz. »Sie können uns nicht dazu zwingen, sofort unseren Arbeitsplatz zu verlassen. Wir haben verfassungsmäßige Grundrechte.«
»Wir können«, bekräftigt Mielke. »Wenn Sie uns das nicht glauben wollen, rufen Sie einfach Ihren Anwalt an!«
»Und erzählen Sie mir bitte nichts von Grundrechten«, ergänzt Swensen, »solange diese Grundrechte für ihre Mitarbeiterinnen außer Kraft gesetzt werden, sobald sie Ihr Betriebsgelände betreten.«
»Meine Herren, können wir uns vielleicht auf einen Kompromiss einigen«, schlägt Zernitz plötzlich mit übertrieben freundlicher Stimme vor. »Ich gebe zu Protokoll, dass ich von dieser Betriebsratsgründung gewusst habe. Im Gegenzug verspreche ich Ihnen, dass unser Konzern auf eine strafrechtliche Verfolgung Ihrer illegalen Abhörmethoden verzichten wird.«
»Der Name Wilhelm Rösener ist Ihnen kein Begriff?«, fragt Swensen.
»Nein, den Namen höre ich das erste Mal, Ehrenwort!«, sagt Zernitz mit Inbrunst und deutet mit dem flüchtigen Heben des rechten Arms einen Schwur an. »Wer soll der Mann sein?«
»Ein Ehrenwort hat Uwe Barschel damals auch gegeben«, kommentiert Mielke. »Dann endete er in einer Badewanne!«
Hat Zernitz wirklich nichts von dieser Überwachung geahnt?
Swensens Gedanken flüchten durch die Frontscheibe in die Dunkelheit und mit ihnen die Bilder aus der Chefetage des Libo-Gebäudes in Siek. Irgendwie will der Hauptkommissar es nicht wahrhaben, dass dieser Yuppie-Typ ihn vielleicht doch getäuscht haben könnte und die Verwunderung über die Überwachung in der Husumer Filiale nur theatralisch in Szene gesetzt hat.
»Ein Serientäter lebt zwei Identitäten, die er beide gut unter Kontrolle hat«, erinnert sich Swensen an die Worte von Helene Klein.
Der Verkehr auf der Autobahn in Richtung Hamburg ist zähflüssig wie seine Überlegungen. Die roten Rücklichter taumeln in seine Augen, schmerzen auf der Netzhaut. Kurze Zeit später schleudert die Stadt ihm das grelle Licht der
Weitere Kostenlose Bücher