Eidernebel
schweren Anschuldigen können wir in diesem Augenblick keine Stellungnahme abgeben. Das Material müsste erst von unserer Rechtsabteilung begutachtet werden.«
Schach!
»Ich denke, Ihre Rechtsabteilung bekommt gar nichts zu sehen. Es handelt sich hier um ein polizeiliches Ermittlungsverfahren. Diese Bänder sind Beweisstücke in mehreren Mordfällen.«
»Mordfällen!«, wiederholt der König und wird blass im Gesicht.
»Mordfälle, Herr Kreienbaum! Und deshalb rate ich Ihnen, mit uns zu kooperieren, sonst rückt in einer halben Stunde eine Polizeisondereinheit an und lüftet in Windeseile die Geheimnisse, die sich in Ihren Computern und Aktenschränken verbergen.«
»Meine Herren! Diesen Aufwand können Sie sich sparen. Ich versichere Ihnen, Ihre Sondereinheit würde nichts finden, was auf eine Überwachung der Belegschaft hindeuten würde. So etwas gehört nicht zu unserem Geschäftsgebaren. Ich versichere Ihnen, ich persönlich weiß nichts von einem Auftrag zur Überwachung unserer Filialen.«
Vielleicht ist er jetzt zu einem Bauernopfer bereit, um seinen Kopf zu retten, denkt Swensen und zieht den nächsten Springer.
»Wer in dieser Etage zeichnet für die Sektion Schleswig-Holstein?«
Kreienbaum blickt fordernd zu seiner Justiziarin hinüber. Die Dame eilt wie auf Kommando zum König hinüber und gibt mit dezenten Handbewegungen und geflüsterten Worten ihre Einschätzung ab. Dann stellt er seinen Bauern schützend vor sich.
»Die Verbindung der Hauptzentrale zur Gebietszentrale Schleswig-Holstein läuft über meine rechte Hand Peter Drenkhahn. Ein absolut gewissenhafter Mitarbeiter, für den ich selbstverständlich meine Hand ins Feuer legen würde.«
Schach matt? Hat Swensen die Partie für sich entschieden?
»Dann würden wir gerne mit Herrn Drenkhahn sprechen.«
»Das geht nicht, Herr Drenkhahn ist nicht im Haus, er hat für eine Woche freigenommen.«
»Das passt ja gut! Wie ist es dann mit dem Büro von Herrn Drenkhahn? Dürfen wir dort einen Blick hineinwerfen?«
Der König bleibt unbeweglich stehen. Die Dame startet einen letzten Versuch, die Partie doch noch mit einem Remis enden zu lassen.
»Unter normalen Umständen würde unser Unternehmen das natürlich nicht gestatten«, faucht Innocentia Kleinschmidt energisch, »aber bei einem Mordfall und um die Sache unbürokratisch aus der Welt zu schaffen, werden ich Sie in das Büro von Herrn Drenkhahn begleiten.«
»Die Sache ist in der Welt, und da wird sie auch bleiben!«, stellt Swensen trocken fest. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Herr Rösener von sich aus Ihre Mitarbeiterinnen überwacht hat.«
»Geht es in Ihren Ermittlungen jetzt vorrangig um Herrn Rösener und seine DVDs oder um die Aufklärung von Mordfällen, Herr Kommissar? Ich betone, dass wir Ihnen momentan ausschließlich bei letzteren behilflich sind.«
Die Justiziarin bringt Swensen und Mielke zwei Stockwerke abwärts zu dem Büro und schließt die Tür auf. Nachdem das Licht eingeschaltet ist, zeigt sich ein großer, übersichtlicher Raum mit schlichtem Schreibtisch und Aktenwand, der den Hauptkommissar sofort erahnen lässt, dass man hier bestimmt keine versteckten DVDs zutage fördern wird. Stephan Mielke steht neben der Justiziarin, tritt unschlüssig von einem Bein auf das andere. Swensen lässt sich von seiner Intuition durch den Raum führen und sein Blick bleibt an einem gerahmten Schwarz-Weiß-Foto einer jungen Frau auf dem Schreibtisch hängen.
Blutjung! Könnte seine Tochter sein, denkt der Hauptkommissar und fragt: »Wer ist die Person auf dem Bild?«
»Soweit ich weiß, ist das Hedwig Drenkhahn, die Ehefrau von Herrn Drenkhahn«, informiert Innocentia Kleinschmidt. »Aber das hat jetzt nichts mit Ihren Ermittlungen zu tun, oder?«
»Ich bin nicht zu meinem Privatvergnügen hier«, kommentiert Swensen scharf. »Wissen Sie, ob Herr Drenkhahn sich in seinen freien Tagen zu Hause aufhält, oder ist er verreist?«
»Wie gesagt, wir spionieren nicht hinter unseren Mitarbeitern hinterher.«
»Dann machen wir das! Ich bräuchte seine Adresse, Telefon- und Handynummer!«
*
19.47 Uhr. Wolkenverhangen präsentiert sich der Abendhimmel, Mond und Sterne sind nicht zu sehen. Vor zehn Minuten hat es aufgehört zu regnen. Lisa Blau tritt in den düsteren Hinterhof und geht auf das flache Gebäude ihrer Tanzschule zu. Die Neonröhren über dem Eingang scheinen einen Wackelkontakt zu haben, in unregelmäßigen Abständen erlischt der
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