Eidernebel
Straßenlampen ins Gesicht, mischt es mit bunter Neonreklame und dem Farbspiel der Ampeln. Eine schweißtreibende Reeperbahnfahrt durch das Sündenbabel Hamburgs, hinab zum Fischmarkt und wieder hinauf zu dem Gebäude mit dem großen Libo-Emblem über dem pompösen Glaskuppel-Eingangsbereich. Dem Wachmann im Schrankenhäuschen der Tiefgarage hält Mielke seelenruhig seinen Dienstausweis unter die Nase.
»Sind Sie angemeldet?«, fragt der mit verschrecktem Blick.
Mielke nickt frech und die gelb-schwarze Schranke hebt sich wie von Geisterhand.
Die Dame hinter dem Empfangstresen fällt beim Anblick des Dienstausweises ebenfalls aus ihrem routinemäßigen Trott und greift bei den Worten »Wir möchten Herrn Kreienbaum sprechen« blitzartig zum Telefonhörer.
Hier hat die freiheitlich-demokratische Grundordnung immerhin eine imposante Ausstrahlung, denkt Swensen, als er seine Augen über die graue Maserung der Marmorwände streifen lässt und dabei eine Vision von Kreienbaum als Imperator einer Discount-Demokratie hat. Höchste Zeit, sich den Mann einmal aus der Nähe anzusehen.
Der Hauptkommissar erinnert sich, dass Zernitz sich schon beim ersten Gespräch im August hinter diesem Namen verstecken wollte. Kreienbaum sei der Mann, ohne dessen Wissen im Konzern niemand einen Schritt machen könne, hatte er gesagt.
»Warten Sie bitte einen Moment, meine Herren! Sie werden sofort abgeholt«, meldet die Frau hinter dem Tresen. Miele nickt ihr zu und greift sich die Hochglanzbroschüre, die einsam auf einem runden Tisch vor einer roten Ledercouch herumliegt, und blättert sie gelangweilt durch. Der Hauptkommissar steht vor der knallroten Farbfläche eines Gemäldes. Im Kopf spielt er Fragevarianten durch, mit denen es ihm vielleicht gelingen könnte, einen abgebrühten Manager aus der Reserve zu locken.
»Eine große Gefahrenquelle für eine spirituelle Lebensweise ist der Geldmissbrauch«, unterstützen ihn die Worte seines Meisters Rinpoche. »Ohne andauernde Hinwendung zu einer kontemplativen Praxis wird man in dieser materialistischen Welt allzu leicht vom Bann des Geldes überwältigt. Das kann so weit gehen, dass die Seele sich in einen überbordenden Luxus treiben lässt, während man die anderen Mitglieder der Gesellschaft dazu anhält, bescheiden zu leben und unentgeltlich zu arbeiten.«
»Sind Sie die Herren von der Kriminalpolizei?«, fragt eine Stimme und Swensen und Mielke nicken synchron. Der Mann in dunkelblauer Uniform führt sie mit einer Chipkarte durch eine Schleuse in einen Fahrstuhl und verfrachtet sie in den 15. Stock. Von dort geht es über einen großzügigen Flur zu einer glänzenden Doppeltür. Nachdem der Mann zaghaft angeklopft hat, drückt er nach einem »Herein« die Klinke herunter. Swensen und Mielke treten in einen weiten Raum. Hinter ihnen fällt die Tür wieder ins Schloss und der junge Mann ist verschwunden. Mit dem Rücken zu den Kommissaren steht ein sehr großer Mann vor der Fensterfront und beobachtet die Lichter im Hafen. Eine Frau in blauschwarzem Hosenanzug erhebt sich von einem Stuhl und reicht den Männern die Hand.
»Mein Name ist Innocentia Kleinschmidt, ich bin die Justiziarin. Herr Kreienbaum möchte, dass ich bei diesem Gespräch zugegen bin.«
»Das ist nichts Persönliches gegen Sie, meine Herren«, sagt der Hüne am Fenster und dreht sich herum, »aber solange wir nicht wissen, was die Polizei von uns möchte, ist das bei uns üblich. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ist Ihnen der Name Wilhelm Rösener ein Begriff?«, eröffnet Swensen den ersten Spielzug. Die Dame geht in Position, der König stellt sich in Pose.
»In der Führungsetage gibt es keine Person mit diesem Namen.«
»Können Sie sich dann erklären, warum wir bei einer Hausdurchsuchung bei einem Mann dieses Namens unzählige DVDs gefunden haben, auf denen die Belegschaft Ihrer Filialen systematisch überwacht worden ist?«
Gardez la Dame! Der König zieht auf eine Linie mit dem Turm.
»Die Überwachung der Verkaufsräume ist branchenüblich.«
Der zweite Läufer zieht nach.
»Auch die der Aufenthaltsräume und der Toiletten?«
Rochade, der König tauscht den Platz mit dem Turm.
»Sind Sie sich sicher, dass die DVDs auch wirklich Aufnahmen aus unseren Filialen zeigen? Ein Supermarkt gleicht doch dem anderen.«
Der Läufer schlägt den Turm.
»Es gibt Personen auf den Aufnahmen, die eindeutig in Ihren Filialen beschäftigt sind.«
Die Dame schlägt den Läufer.
»Zu solchen …
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