Eiertanz: Roman (German Edition)
mitgebrachten Überlebensvorräten. Bis zum Nachmittag sollte ich das erste Planquadrat geschafft haben, danach würde ich mich um alles andere kümmern.
Ich nickte Therese zu, kühl und geschäftsmäßig, und schritt erhobenen Kopfes an ihr vorbei zurück ins Haus.
Im Schlafzimmer schlüpfte ich in meine Kampfkluft: Leggins, Sportschuhe, Regenjacke sowie Lederhandschuhe, die ich in einer Kommodenschublade gefunden hatte, zwischen mottenzerfressenen Schals und sich selbst in den räudigen Schwanz beißenden Füchsen. Um den Kopf schlang ich mir einen Handtuchturban. Bevor ich die Küchentür öffnete, versuchte ich, auch meiner Wahrnehmung innere Scheuklappen anzulegen. Hier, das war mir gestern rasch klar geworden, konnte nur bestehen, wer die Fähigkeit zum Tunnelblick hatte und mit so wenig Sauerstoff wie möglich auskam. Ich hielt die Luft an und konzentrierte mich darauf, eine Schneise zu Spüle und Oberschränken zu schlagen. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was der Kühlschrank, der hinter einem Plastikflaschen- und Dosenwall ein summendes, autarkes Leben führte, wohl kühlte. Oder daran, welche anderen summenden, autarken Lebensformen ich noch finden würde.
Das Wichtigste war, sich nicht ablenken zu lassen. Mein Ziel fest im Auge, zog ich den Bauch ein, zwängte mich zwischen einer Pyramide aufgeschichteter Küchenrollen und einem wackligen Schränkchen voller Gewürze hindurch. Dort, vor mir, waren die Geschirr- und Heißwasserressourcen, die es zu erobern galt, schon sah ich den dampfenden Kessel auf dem Herd, roch den Kaffeeduft. Und spürte im nächsten Moment etwas Glitschiges unter meinen Füßen. Rudernd und um mich schlagend griff ich nach dem nächsten Halt.
Vielleicht gab es außer mir noch mehr Menschen, die schon einmal von einer Küchenrollenlawine begraben worden waren, aber mit Sicherheit war ich die einzige Person auf der Welt, die gleichzeitig einem Teebeutelhagel, einem Zuckerwürfelbombardement und einem Gewürz-Fallout standhalten musste. Ich hörte mich schreien, dünn und jämmerlich, während alle Herrlichkeiten des Schränkchens auf mich einprasselten, und verschluckte mich an Zimt und Pfeffer, als ich ein fernes Echo vernahm. Ein Echo meines eigenen Schreiens.
Zitternd und hustend saß ich in einem Meer aus Wischfix dreilagig und Premium saugstark und wartete. Aber es passierte nichts. Kein weiterer langgezogener Schrei, wie ich ihn eben gehört zu haben glaubte. Nur ein paar nachbröselnde Nelken und ein Lorbeerblatt, das geisterhaft Richtung Boden segelte. Ich pflückte Teebeutel von Kopf und Schultern, versuchte eine Bestandsaufnahme. Das Positive: Ich lebte noch. Mein Herz schlug. Ich atmete. In Anbetracht der Tatsachen sogar ziemlich heftig. Ebenfalls positiv, wenn auch eher nebensächlich: Es roch längst nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Was nicht nur daran liegen konnte, dass sich mindestens zwanzig Gewürztüten über mir entleert hatten. Anscheinend hatte die verstorbene Hausbesitzerin zwar genügend Küchenrollen gehortet, um den gesamten Planeten in weißen Zellstoff hüllen zu können, aber keine verderblichen Essensreste. Auch positiv: Die Lache, in der ich saß, schien verschüttetes Reinigungsmittel zu sein. Weniger positiv: Ich hatte etwas oder jemanden schreien hören, oder ich glaubte zumindest, dass es so war. Was zweierlei bedeuten konnte:
1. Die Urwaldlaute von heute Nacht waren keine Einbildung gewesen.
2. Mein geistiger Zustand war bedenklicher, als ich es mir eingestehen wollte.
Ich würde es herausfinden müssen. Aber nicht, bevor ich mein Ziel erreicht hatte. Jetzt erst recht.
Energisch kämpfte ich mich frei, baggerte mich aus dem Küchenrollenmeer, stelzte durch ein Feld aus ineinandergestellten Eimern, Lappen aus bestimmt sechs Jahrzehnten, Flaschen, Dosen, Tuben, Schwämmen, Schaufeln und Handfegern, überwand eine Barriere aus Elektroschrott, vor allem Toaster, legte schließlich mit dem entschiedenen Wegkicken einer verrosteten Brotmaschine den Zugang zu Spülschrank und Herd frei. Im Oberschrank fand ich, worauf ich gehofft hatte: einigermaßen sauberes Geschirr. Ich hatte es geschafft! Schwindlig vor Erschöpfung und Glück hielt ich mich einen Moment am Spülschrank fest. So musste sich ein Langstreckenläufer auf dem Siegertreppchen fühlen. Oder ein Bergsteiger nach überstandenen Strapazen. Nur, dass Bergsteiger gewöhnlich kein Paprikapulver in den Haaren hatten.
Während das Kaffeewasser auf dem Herd stand,
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