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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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zerrte etwas hervor, triumphierend und niemals ohne Kommentar.
    »Die Tütn, Kruzifix, Picco, die Tütn«, sagte er zum Beispiel. Womit er sowohl eine Sammlung von Staubsaugerbeuteln verschiedenster Marken meinen konnte als auch eine großzügig angelegte Kotztütenkollektion aller möglichen und unmöglichen Fluglinien dieser Erde. Christianes Tante, die alte Mirl, hätte bald anbauen müssen, wenn sie nicht gestorben wäre. Jedes Zimmer quoll über von Absonderlichkeiten, Gänge waren verstellt, Treppen kaum begehbar. Nur Picco kannte sich aus. Zumindest tat er so. Flatterte überall herum, flötete angeberisch und nervtötend. Aber er hatte auch seine stillen Momente. In denen er mit eingezogenem Kopf auf der Kuppel seines Käfigs saß und aus dem Fenster starrte. Stundenlang. Und er schien wenig zu fressen. Eher: gar nichts. In der Küche hatte ich eine Packung Sonnenblumenkerne gefunden, sie in seinem Käfig ausgeschüttet, aber er rührte sie nicht an.
    Als Quirin klingelte, um nach ihm zu sehen, war ich beinahe erleichtert. Picco war nach stundenlangen Gesprächen, in denen er sich anscheinend mit mehreren unsichtbaren Wesen blendend unterhalten hatte – gab es Schizophrenie bei Papageien? –, in eine aufgeplusterte Depression verfallen, die seit einem Tag andauerte und auch durch Schwingen der Reisigrute nicht zu vertreiben gewesen war. Er flog nicht mehr auf, musterte mich und die Rute mit einem müden Blick und schaute wieder aus dem Fenster. Erst als Quirin auf ihn zuging, zeigte er eine Spur von Interesse, stieß einen Laut aus, der wie eine zarte Frage klang. Quirin war Tierarzt, er arbeite aber in der Forschung, erklärte er mir knapp, während er Picco untersuchte. Picco hackte nach ihm, wie er auch nach mir hackte, sobald ich seinen Wassernapf aus dem Käfig nahm, aber diesmal hackte er vorsichtiger, beinahe zärtlich.
    »Mei, Picco, du gscherter Hund, warum willst denn wieder nix fressen?«
    Quirin strich ihm behutsam das gesträubte Gefieder glatt, und tatsächlich ließ der Papagei es sich gefallen, legte den Kopf schief, sah Quirin nachdenklich aus seinen hellen Augen an. Floh, der Picco offensichtlich ebenso wenig ausstehen konnte wie ich, drehte sich empört weg. Er habe, erklärte mir Quirin, sich schon zu Mirls Lebzeiten um den Papagei gekümmert, das arme Tier sei seit ihrem Tod vollkommen durch den Wind. Deshalb hätten sie sich auch entschieden, ihn in seiner gewohnten Umgebung zu lassen, bis alles geregelt sei. Ich verkniff mir die Bemerkung, dass es nett gewesen wäre, mich von diesem Entschluss wenigstens in Kenntnis zu setzen, und sah zu, wie Picco gehorsam auf den Stock kraxelte, den der Tierarzt ihm hinhielt. Heute trug Quirin kein Trachtenhemd, sondern ein enges T-Shirt und knielange Sporthosen. Seine Haare glänzten feucht, anscheinend kam er vom Surfen.
    »Wenn er morgen noch ned frisst oder fliegt, musst du es ihm halt vormachen. Papageien sind große Nachahmer, weißt.«
    Er trug den Vogel zum Käfig und setzte ihn vorsichtig an der offenen Tür ab. Worauf Picco lammfromm sein goldenes Gefängnis betrat.
    »Vormachen? Ich?« Am liebsten hätte ich mich beleidigt weggedreht, wie Floh. Dass der Vogel sich von Quirin in den Käfig setzen ließ, ärgerte mich mehr, als ich zugeben wollte. Vor allem, wenn ich an meine entwürdigenden Versuche dachte, Picco einzufangen. Sogar nachgerannt war ich ihm, den Käfig in den Händen, hatte mich so weit gehen lassen, alberne Lockrufe auszustoßen: »Kommkommkomm, feiner Käfig, feines Fresschen, braver Picco, kommkommkomm.« Was der brave Picco mit einer Geräuschkaskade beantwortet hatte, die eindeutig an Lachen grenzte.
    Egal, wie eindringlich dieser Landtierarzt über Neugier und Intelligenz von Papageien referierte, er würde mich nicht dazu bringen, mich so weit zu erniedrigen, flügelschlagend durchs Haus zu rennen und Körner aus einem Napf zu essen. Von mir aus konnte Picco bis in alle Ewigkeit auf seiner Stange sitzen bleiben und sich auf einen Body-Mass-Index für verhungerte Papageienmodels herunterfasten. Ich zuckte mit den Schultern, so cool wie ich konnte.
    »Dafür werde ich nicht bezahlt«, sagte ich, und Quirins Eifer erstarb. Er drehte sich um.
    »Komm, Floh.«
    Der Hund gehorchte, nicht ohne Picco mit einem letzten verächtlichen Blick zu bedenken. Beinahe wurde mir Floh sympathisch.
    »Ich schau morgen noch mal, wie es ihm geht.«
    Damit waren beide entschwunden, Herrchen und Hund, und kaum war die Haustür zugefallen,

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