Eiertanz: Roman (German Edition)
in den Gastraum.
»Gina wird Ihnen alles zeigen, das gehört zu unserem Service. Wenn Sie wiederkommen, ist alles bereit.«
»Nu, gutt. Bevor wer hier ranzsch wärrn«, sagte ein Mann in einem rotkarierten Hemd. Zwei Frauen blickten bekümmert auf ihre zierlichen Pantoletten. An weniger zierlichen Füßen. »Und kommt’s mir bloß ned zum Stall. Hosd mi?«, raunte Therese mir zu, um mich gleich darauf sanft Richtung Tür zu schieben.
Wo denn das Braunkohle-und-Bergbaumuseum sei, fragte eine Pantolettin, sobald wir auf dem Parkplatz standen.
»Was willste denn mit Bräungohle, Judda, gannsde ooch daheeme besischtschen«, warf der Mann im rotkarierten Hemd ein. Ich beschloss zu handeln.
»Hier entlang«, sagte ich im Tonfall von Bruce und marschierte los. Der geteerte Weg durch den Wald war einigermaßen pantolettentauglich, und die Sachsen folgten mir bereitwillig. Als wir das Waldstück hinter uns hatten, sah ich den Aussichtsturm. Er war aus rohem, hellem Holz und zu weit entfernt für überladene Pantoletten. Ich wusste nicht, ob ich etwas über den See sagen sollte, und wenn ja, was, im Vorbeigehen versuchte ich, wenigstens etwas über die heimischen Pflanzen und Tierarten von einer Tafel am Wegrand abzulesen. Aber die Sachsen schienen keine Ansprache zu erwarten, marschierten in geschlossener Formation auf eine Schranke zu. Jetzt war ich es, die ihnen folgte, vorbei an einer Hütte, auf der Rezeption stand, vorbei an Wohnmobilen in ordentlichen Reihen, an frühstückenden Familien in Vorzelten mit Küchenschränken und gigantischen Kühltruhen. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich noch nie auf einem Campingplatz gewesen war. Als Kind hatte ich Julia um ihre Fahrten ins Zeltlager beneidet, hatte dabei allerdings eher an Lagerfeuer und Indianer gedacht, nicht an Satellitenschüsseln, Fernseher und Wohnmobile, auf deren Ladefläche ein Smart parkte. Die Sachsen strebten einem großen Haus in der Mitte des Platzes zu, dem zentralen Gebäude, das wichtig aussah. Menschen gingen ein und aus, anscheinend unterwegs in dringenden Geschäften.
»Nu gugge, die sanidären Onloochen sind aber wirklsch fürstlich.«
Die Pantolettinnen betraten das Gebäude fast ehrfürchtig, während die Männer das Drumherum begutachteten: Schläuche, Hähne, Türen mit rätselhaften Aufschriften wie Fäkalienraum und Entsorgungsstation. Die sanitären Anlagen seien das Ä und Ö eines Campingplatzes, erklärte mir der Rotkarierte, und Judda, die vorhin ins Braunkohlemuseum gewollt hatte, schwärmte von den Fünf-Sterne-Duschräumen. Die Sanitäranlagen konnte nichts mehr toppen, ich fühlte es, verzichtete auf die Besichtigung des Aussichtsturms und führte meine zufriedenen Schützlinge zurück zum Café. Therese – außer Atem, mit gerötetem Gesicht – schien ihre Vorbereitungen abgeschlossen zu haben und begrüßte uns strahlend. Rasch packte ich mein Notebook und die Verträge ein und verschwand durch die Ladentür nach draußen, bevor sie mich für weitere Vorhaben einspannen konnte.
Erst auf der Straße fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, Therese nach einem Postamt zu fragen. Wie gestern war kein Mensch zu sehen, der Edeka war geschlossen. Obwohl es kurz nach sechzehn Uhr war. Und kein Mittwoch oder Samstag. Vor der Tür des Wirtshauses neben der Feuerwehr kehrte ein Mann schnaufend den Bürgersteig, blickte auf, als ich auf ihn zuging, vorbei an einem riesigen Transparent, das für die neu entstehende Feriensiedlung von Fun & Leisure warb. Es war so still, dass ich das Schaben des Besens auf dem Bordstein hörte. Und das Schnaufen des Mannes. Das nicht aufhörte, nachdem er die Kehrtätigkeit eingestellt hatte und sich ganz auf mein Näherkommen konzentrierte.
»Grüß Gott«, sagte ich. »Ruhig haben Sie es hier.«
Er gab einen Laut von sich, der alles bedeuten konnte: Zustimmung, Frage, Gruß.
»Können Sie mir sagen, wo das nächste Postamt ist?«
Wieder ein Laut. Zwischen Grunzen und Schnauben. Ein eindringlicher Blick, mit hochgezogenen Augenbrauen. In dem eine Prise Befremden und eine etwas größere Prise Verachtung lag. Hatte ich ihn beleidigt? In einem Business-Seminar über internationale Geschäftsgespräche und Sitten hatte ich gelernt, dass die Grenze zur Beleidigung umso schneller überschritten war, je weiter man nach Süden vordrang. Und nach den Siesta-Zeiten der hiesigen Geschäfte zu urteilen, befand ich mich schon recht weit im Süden. Aber vielleicht hatte er mich auch
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