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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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hast gestern glei gsagt, wer hat des entworfen, des Gwand von dera englischen Königin?«
    Es grenzte an Artistik, sich auf Zehenspitzen nach einer Salzbrezelpackung zu recken, dabei zwei schwere Flaschen mit einer Hand festzuhalten, sich gleichzeitig halb umzudrehen, um auf eine Frage zu antworten. Ein Kunststück, das zu große Anforderungen an meinen noch vom Bier geschwächten Gleichgewichtssinn stellte: Ich suchte Halt, spürte im gleichen Augenblick einen scharfen Stich zwischen den Schulterblättern.
    »Sarah Burton«, stöhnte ich mit letzter Kraft und fegte Salzbrezeln und Schnapsflaschen vom Regalbrett.

    Als ich ins Haus zurückkehrte, hatte sich der Schmerz zwischen den Schulterblättern zu einem stechenden Hexenschuss ausgewachsen. Der Käfer war weg. Picco saß mit unschuldigem Gesichtsausdruck auf seinem Käfig und beantwortete Fragen meinerseits ausschließlich mit Gegenfragen.
    »Picco, was ist mit dem Käfer passiert?«
    »Zieh d’ Latschn aus, wannsd reinkimmst, hosd mi?«
    »Ich will dir wirklich nicht in deinen Diätplan reinreden, ich will nur wissen …«
    »Was hast, Picco, du gscherter Hund, was hast?«
    »Hast du vielleicht noch mehr Käfer gesehen?«
    »Picco, siehst du die Rute? Siehst du die Rute, Picco?«
    Diese Frage stellte er mit hoher, strenger Stimme, in reinem Hochdeutsch, und ich zuckte zusammen. Picco sprach eindeutig wie meine Mutter. Was unmöglich war, weil er meine Mutter nicht kannte. Die einzig logische Schlussfolgerung daraus wollte ich nicht akzeptieren.
    Ich ließ ihn sitzen, überzog unter stechenden Schmerzen im Nacken das Innere des Schrankes und das gesamte Planquadrat C4 mit Insektenspray und begann mit dem nächsten Quadrat. Dabei zwang ich mich, nicht alle fünf Minuten eine Pause einzulegen und das Display meines Handys zu kontrollieren. Noch immer keine SMS von Mirko. Dafür fünf neue Nachrichten auf der Mailbox. Die sich jedes Mal abschaltete, wenn ich sie abhören wollte.
    Ich rief die Hotline an, natürlich war niemand zuständig; ich googelte sämtliche Foren, ohne Ergebnis; all das dauerte gefühlte Ewigkeiten, und die Vormittagssonne schien immer gnadenloser durchs Fenster zu brennen. Nach einer scheußlichen Stunde war ich so weit, nur noch ins Wasser zu wollen. Oder zumindest ans Wasser. Ich war nicht der Typ, der gleich in jeden See sprang. Und wenn ich es tat, planschte ich nur in Ufernähe, möglichst mit Grund unter den Füßen. Unendliche Tiefe unter mir und nichts, woran ich mich festhalten konnte, machte mir Angst, auch in meinen häufigen Träumen vom Wasser. Laut Julias Traumdeutungsbuch ein Zeichen für sexuelle Hingabestörungen. Was in meinem Fall, ich hatte es Julia schon mehrfach erklärt, eine krasse Fehldeutung war. Alles, was mir fehlte, war das geeignete Objekt meiner grenzenlosen, ausufernden Hingabe. Mirko. Noch einmal kontrollierte ich mein Handy, dann zog ich meinen Bikini an, setzte die Silberkappe auf und ging hinunter zum See.
    Weder Frösche noch Surfer waren zu sehen, und ich breitete mein Handtuch auf dem dünnen Sandstreifen neben dem Steg aus. Beide Füße im Wasser, massierte ich die schmerzende Schulter, dachte an vergangene, mehr oder weniger erfolgreiche Hingabeversuche meinerseits und an einstige Hexenschüsse. Genauer gesagt an einen, nie vergessenen Hexenschuss. In jener Chemiestunde. Wir waren im zehnten Schuljahr. So gut wie alle Mädchen der Klasse hatten schon mit Jungen geschlafen. Nur Julia und ich hatten es noch nicht geschafft, vom Mädchen zur Frau zu werden, wie es in den Liebesromanen hieß, die wir verschlangen, und hatten uns zu Silvester geschworen, dieses Jahr nicht als Jungfrauen zu beenden. Dieses Jahr, wir spürten es, würde er kommen, der Mann mit der Glut in den Augen, dem sensiblen Mund, den schönen, aber zupackenden Händen, dem kompakten Hintern, dem Waschbrettbauch, den Haaren und Tattoos an den richtigen Stellen, der Mann, der bis in unseren Herzensgrund blicken konnte, wo außer den mädchenhaften Veilchen unserer Sehnsucht auch orangerote Blumen der Lust blühten. Fünf Monate nach dem Schwur hatte ich mich damit abgefunden, dass es so etwas nicht gab, zumindest nicht in meiner näheren Umgebung, und dass ich alle anderen in Frage kommenden Objekte, die zwar nicht unbedingt meinem Traum entsprachen, aber gerade noch akzeptabel waren, schleunigst einkreisen musste, wenn es dieses Jahr noch etwas werden sollte mit der Einlösung meines Schwurs. Da ich noch nichts von der

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