Eiertanz: Roman (German Edition)
Jäger-und-Reh-Theorie wusste, dauerte es weitere zwei Monate, bis ich einen Jungen aus der Zwölften von meiner Paarungsbereitschaft überzeugt hatte. Als Stichlings- oder Pavianweibchen, die nur einen roten Bauch oder Hintern präsentieren mussten, hätte ich es leichter gehabt, aber schließlich war es so weit, ich lag, so weit ausgezogen wie nötig, auf der Patchworkdecke seines Bettes, aus den Boxen seiner Anlage säuselte deutscher Soft-Hip-Hop, der das laute Telefongespräch seiner Mutter im Flur nicht zu übertönen vermochte. »Nä, nä, nä«, sagte sie immer wieder, im Kölner Dialekt, während er »Ja, ja, ja« in mein Ohr hauchte und mich fragte, ob es auch schön für mich sei. »Ja, ja«, murmelte ich, etwas unkonzentriert, denn die ganze Zeit dachte ich an den nächsten Tag in der Schule und an das T-Shirt. Julias Vater arbeitete für eine Hotelkette, die ihren Werbeslogan I’ve slept with the best auf T-Shirts, Bettwäsche und Streichholzbriefchen druckte. Julia und ich hatten uns geschworen, unsere T-Shirts erst zu tragen, wenn wir unseren Schwur eingelöst hätten. Und so prangte die Siegesbotschaft auf meiner Brust, als ich in der ersten Stunde des nächsten Tages wund und erwartungsvoll im Chemiesaal saß. Julia kam zu spät, murmelte eine schnelle Entschuldigung. Wie immer sah sie dabei so hilflos aus, dass der Lehrer schon bereit war, seine Bemerkung hinunterzuschlucken, wenn sie nur unauffällig zu ihrem Platz schlich, als sie plötzlich stehen blieb und mir mit offenem Mund auf den Busen starrte wie sonst nur die Jungen. Ich lächelte wissend und nickte. Die Bänke des Chemiesaals stiegen nach hinten an, und um Julia auf ihrem Platz schräg hinter mir alles zu berichten, hatte ich mich umdrehen und zu ihr aufschauen müssen. Und mir nicht nur einen Klassenbucheintrag geholt, sondern auch einen Hexenschuss.
»Na? Geht’s besser?«
Ich fuhr herum. Und griff mir mit leisem Stöhnen in den Nacken. Quirin stand neben mir. Er trug ein T-Shirt mit dem Emblem der Tauchschule Engler, darunter knappe, enge Hosen, anscheinend das Unterteil eines Neoprenanzugs. Plötzlich hätte ich mein Gesicht wahnsinnig gern in kaltes Wasser getaucht. Aber ich saß steif auf meinem Handtuch und glühte unter meiner Glitzerkappe wie ein Leuchtturm, sichtbar von hier bis Grönland. Einen Moment erwog ich aufzuspringen und ins Haus zurückzurennen. Dann entschied ich mich für möglichst würdevolles Glühen. Quirin setzte sich neben mich, hob einen Stein auf, schnippte ihn über das Wasser. Schweigend. Als er den nächsten Stein aufhob, berührten sich unsere Ellbogen, weiche Härchen kitzelten meinen Unterarm. Gegen Verlegenheit, das wusste ich noch aus der Tanzstunde, half Konversation, lässige, nonchalante Konversation.
»Was ist eigentlich ein Soacha?«
Nicht gerade die Krönung der Lässigkeit, aber immerhin ein Versuch.
»Mei, wieso willst du denn das jetzt … Halt ein Brunza. Äh … also … ein Seicher. Ein Pinkler.« Er warf den Stein, ließ ihn springen.
»Und ein bleeds Gfrias?«
»Alex Strobls Gesicht, besonders die Mundwerkzeuge.«
»Ein Zipfeklatscha?«
»Äh … na ja. Ich glaub, das erkläre ich dir lieber nicht.«
»Ein Hallodri?«
Jetzt sah er mich an, ein blitzblauer Blick, der meinen festhielt. Mit Tief-in-die-Augen-Schauern hatte ich kaum Erfahrungen. Überhaupt hatte ich den Verdacht, dass es den reinen Typ des Augen-Schauers eigentlich gar nicht gab. Die meisten vordergründigen Augenschauer waren eigentlich Hinternfetischisten, die nur die Zeit herumbrachten, bis die Frau vorbeigegangen war. Allerdings behauptete Julia, das Karöttchen sei ein reiner Augenschauer. Und noch mehr, er könne auch ihre Seele und ihre Aura sehen.
»Hallodri? Wer hat das gesagt?«
»Äh … Franzi.«
Zögernd berichtete ich ihm von dem Wortwechsel zwischen der Kittelschürze und Franzi im Edeka, ohne zu erwähnen, dass es vor allem darum gegangen war, dass er mich hoambracht hatte. Sein Blick wanderte über meine Arme und Schultern, verweilte kurz in meinem Ausschnitt, als ich von der Negligéparty und der Gaudi berichtete – sicherheitshalber ließ ich den Presssack weg –, und kehrte wieder in mein Gesicht zurück. Um seine Mundwinkel zuckte es amüsiert. Die Negligéparty, erklärte er mir, sei ein lange geplantes Event in der Kneipe beim Feuerwehrhaus gewesen, bei der Frauen in Nachthemden freien Eintritt gehabt hätten. Den Begriff Negligé könne man dabei übrigens weit
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