Eiertanz: Roman (German Edition)
das für eine Welt der Beliebigkeit sei, genau darüber wolle er ein Stück schreiben.
Ralli war Regisseur und Autor von Stücken, die vor handverlesenen Zuschauern gespielt wurden. Er hatte ein eigenes kleines Theater, und dort hatten er und Christiane sich auch kennengelernt. An Christiane wollte ich allerdings noch weniger denken als an Thai-Huhn in roter Kokossauce. Ralli betastete meine Brüste, als wollte er die Struktur aller Brüste dieser Welt in diesem meinem C-Körbchen-Paar ergründen, als ginge es ihm um die reine Idee der Brust hinter der irdischen Erscheinung. Oder als führe er eine Vorsorgeuntersuchung durch. Immerhin hatte er inzwischen aufgehört zu reden, war mit Lippen, Zunge und sonstigen Körperteilen beschäftigt, mich glücklich zu machen. Ich gab mir große Mühe, etwas zu empfinden, so lange, bis ich schließlich Glück vortäuschte. Danach wäre ich gern davongeflogen. Nicht irgendwohin, einfach weg. Auf den Mond mindestens. Aber kein Raumschiff landete, um mich zu entführen, nur unten auf der Straße fuhr der Zweiundvierziger in seine Parkbucht. Wo der Bus wie immer mit laufendem Motor stehen blieb.
»Bist du noch da?«, fragte Ralli.
»Äh … Wo sollte ich denn sein?«
»Die Welt ist eben explodiert. Oder nicht?«
Ralli warf das Kondom in den Papierkorb, traf auf Anhieb, vom Bett aus.
»Weißt du, warum ich so gut im Bett bin? Weil ich eure geheimen, archetypischen Phantasien kenne. Überwältigt wollt ihr werden, von etwas, das euch wehrlos macht, zu Boden schmettert, Feminismus hin oder her, je eher ihr euch das eingesteht, desto besser.«
»Willst du noch einen Kaffee, bevor du gehst?«
Er war dann ohne Kaffee gegangen. Und bot mir seitdem regelmäßig an, diese überwältigende archetypische Erfahrung zu wiederholen. Inzwischen bemühte ich mich noch nicht einmal mehr, höflich zu sein, wenn ich ablehnte. Was ihn nur weiter aufstachelte. So viel zur Jäger-und-Reh-Theorie. Ein unhöfliches Reh machte den Jäger noch wilder als ein scheues Reh. Oder ein vernünftiges Reh.
Ich wusste nicht, ob Christiane etwas ahnte. Seit dem Agenturfest zitterten mir jedes Mal die Knie, wenn sie mich mit einem gebieterischen »Gina!« oder einem fragenden: »Schorschelchen, kommst du mal?« in ihr Büro zitierte. Und mehr als ein Mal war ich drauf und dran gewesen, mich vor ihr in den Staub zu werfen, ihr alles zu gestehen und zu beteuern, wie gern ich alles ungeschehen gemacht hätte. Aber der Boden in Christianes Büro war stets blank gewienert, nicht die Spur von Staub, und bevor ich ein Wort herausbrachte, hatte sie mich schon zum Schreibtisch dirigiert und mir eine neue Aufgabe aufgehalst.
Was würde passieren, wenn sie es erfuhr? Würde sie mich feuern? Und dann?
Meine Mutter hatte mich bekniet, Jura zu studieren, das habe Zukunft. Womit sie meinte, dass ich an der Uni den Mann kennenlernen würde, der ihr vorschwebte. Nach sechs Semestern ohne Erfolg in der einen oder anderen Richtung wusste ich, was mir mein Job in der Lachschmiede wert war. Draußen jubilierten inzwischen die Vögel um einige Dezibel lauter als in der Stadt, als wäre heute der erste Morgen in der Erdgeschichte, und aus dem Nebenzimmer antworte ihnen ein langgezogener freudiger Papageienpfiff. Mein Kopf dröhnte. Meine Kehle brannte. Ich wollte nur eins, zurückkehren in unser papageienloses Büro in Köln und friedlich meine Arbeit tun. Doch plötzlich überfiel mich ein schrecklicher Gedanke: Wenn Christiane erben würde, gehörte Picco dann nicht zum Erbe? Ich konnte mein Hirn nicht an der Vision hindern, die kurz und gnadenlos über meine innere Leinwand flackerte: Christianes Büro, aufgeräumt wie immer, aber in der freien Ecke zwischen Fenster und Regal … Piccos Käfig, vor dem modernen Gemälde, das ihm sicherlich gefallen würde, wie ihm alles Bunte, Bekleckste gefiel.
Schaudernd erhob ich mich, trank das Glas leer, zog mich an und machte mich an die Arbeit.
»Er strich über ihr weizenblondes Haar, und sie seufzte, schmiegte sich an ihn. Ihre süßen, schmelzenden Lippen auf seiner hungrigen Haut, ihre schwellenden Brüste an seinem sehnigen Oberkörper, ihre Weichheit an seiner Härte.«
Die gesamte Hörbuchserie Gänsehaut. Abenteuer und Leidenschaft hatte nur 2,99 Euro gekostet, und der Sprecher lispelte. Jedes Mal, wenn er von weizzzenblondem Haar und den schwellenden Brüsssten der Heldin sprach, hatte ich das Gefühl, er spucke mir direkt ins Ohr. Die Geschichte war auch ohne Lispeln
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