Eiertanz: Roman (German Edition)
Müllsack-Hotpants passten ihm besser als die Lacklederhosen. Ein Oberteil schien für ihn nicht vorgesehen zu sein. Er kriege später noch ein Accessoire, sagte das Karöttchen, etwas Besonderes, aber erst solle er wie alle die Augen schließen und tief atmen, um sich auf den Raum und das Ereignis einzustimmen.
»Einstimmen? Wos wuist?« Ich hörte Anderls Stimme nur, hatte die Augen schon geschlossen, bereit, gegen meine Enttäuschung anzuatmen: Ralli, nicht Mirko. Nach meinem Gestotter würde Mirko sich nie mehr melden und, schlimmer, bei all unserer vernünftigen Kommunikation, seinen Tourplan, Fitness-Studios und Joghurt betreffend, würde immer ein peinlicher Unterton mitschwingen.
Jetzt blinzelte ich doch und sah: Anderl, in seinen knallengen Hosen, die Arme in die Hüften gestemmt, die Augen weit offen; die Männer des Hardrock-Chors, darum bemüht, ihr Bier so meditativ wie möglich zu trinken; Quirin, die Augen zwar geschlossen, aber ein amüsiertes Zucken in den Mundwinkeln. »Jetzt erfahrt euch selbst im Raum. Spürt ihn!«, rief Julia, und das Karöttchen machte uns vor, was sie darunter verstanden. Kurz darauf hopsten zu Flohs großer Verwunderung vier Müllsäcke durch den Laden, jeder in seiner ganz eigenen Bewegungssprache, misstrauisch beäugt von Anderl, der sich große Mühe gab, nicht zu tanzen. Langsam wärmte sich der Hardrock-Männerchor wieder auf, alle stampften und tranken, und darüber sang Nat Wildmoser, während er sich selbst im Raum erfuhr, die erste Strophe von »We will rock you«. Das Karöttchen klatschte begeistert Beifall. Nat habe beim Accessoire die Wahl, sagte es, entweder Messer oder Axt, sein Outfit sei seine Idee gewesen, es liebe die Halloween-Horror-Filme. Worauf Therese noch einmal alle Vorhänge überprüfte. Dort draußen, behauptete sie, lauerten nicht nur Franzi und Özcan, sondern auch ganze Touristengruppen, und ob wir sicher seien, dass die trendigen Trachten wirklich die richtige Linie seien? Statt einer Antwort drückte ihr einer von Nat Wildmosers Jungs eine Bierdose in die Hand, auch Anderl verlangte nach einem Bier, und wenig später ging Therese hinüber ins Café, zapfte eine Runde für alle. Was die Models erheblich lockerer werden ließ. Sogar Kathi nahm ihren Kaugummi aus dem Mund und die Stöpsel aus den Ohren, verkündete, das Müllsack-Dirndl sei richtig cool, und eine Weile eroberten wir bierselig den Raum zur Musik, auch Anderl wagte einen Hopser.
»Befreit eure Kundalini!«, rief das Karöttchen dazwischen, Julia rannte von einem zum anderen, steckte um, zurrte fest. Quirin, steinzeitlicher Jäger mit Plastiklendenschurz, griff nach meiner Hand, schwang mich herum in einer wilden Rock’n’Roll-Parodie, Nat Wildmosers Männerchor war entfesselt, stampfte, brüllte, gluckerte, und für einen Moment vergaß ich, dass Mirko mir nie wieder eine SMS schicken würde, ich hüpfte, tanzte, stampfte wie die anderen, die ihre Kundalini befreiten und, wie es aussah, richtig Spaß dabei hatten.
Alle, bis auf Therese.
»Wenn des mal guad geht, Jesses, Maria und Josef.« Sie lehnte am Ladentisch, schüttelte ab und zu den Kopf, fassungslos, dann verbarg sie das Gesicht wieder in den Händen.
Als die Probe zu Ende war, schwitzten wir alle in unseren Müllsäcken. Ich griff mir Rock und Top, ging zum Umziehen in die Küche. Nachdem wir den Raum erobert hatten, waren wir in Zweierreihen über den Steg gelaufen, in unterschiedlichen Konstellationen, jede Konstellation, sagten das Karöttchen und Julia, sollte eine andere Geschichte erzählen. Die Domina und der Trachtenwirt, zum Beispiel. Wofür sich Anderl über seine engen Hosen eine Müllsack-Schürze hatte umbinden müssen. Bereitwillig war er neben mir hergelatscht, immer noch bemüht, nicht aus Versehen einen Tanzschritt zu machen, und wieder schnaufte er, für a gscheites Sadomaso seien unsere Kleider eh viel zu brav.
»Woher weißt denn das?« Therese, ihre Arme in die Hüften gestemmt, sah ihn mit der Steigerung des Das-ist-mir-nicht-geheuer-Blicks, dem Ich-habe-all-die-Jahre-neben-einem-Monster-gelebt-Blick an.
»I hob halt a an Fernseher.« Damit bot der Trachtenwirt der Domina galant den Arm und geleitete sie über den Laufsteg. Im Lauf des Spätnachmittags, der langsam in den Abend überging, war Anderl immer mehr aus sich herausgegangen, war übergesprudelt vor Inszenierungsideen, Nat als Halloween-Mörder könne Kathi, die Unschuld, ruhig a wenig fester anpacken. »So was sehns gern, die
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