Eiertanz: Roman (German Edition)
brütete im großen Zimmer über ihren Modellen, und das Karöttchen werkelte verbissen in der engen Küche. Mit aufgeschlagenem Rezeptbuch und einem gurrenden Papagei auf der Schulter. Es schien schon mehr als Freundschaft zwischen ihnen zu sein. Mit Interesse, ja, sogar Bewunderung im Ausdruck seiner hellen Augen sah Picco dem Karöttchen zu, wie es Gemüse und Tofu schnetzelte, nahm bereitwillig und gesittet jedes Stückchen an, das ihm sein neuer Gönner anbot. Es fehlte nur noch, dass er sich mit einem Kratzfuß dafür bedankte. Als ich mich an ihnen vorbeizwängte, um mir ein Glas Wasser zu holen, kreischte Picco empört auf.
»Wenn du ihn weiter so vollstopfst, wird er vermutlich bald nicht mehr fliegen können. Von mir hat er nämlich heute Vormittag schon eine XXL-Portion Bananen mit Haferflocken und Erdbeeren bekommen.«
Das Karöttchen sah mich nur abwesend an und steckte Picco noch ein schnabelgerechtes Stück Tofu zu. Ich nahm mein Wasserglas, begab mich zurück zu meiner Kuss-Verwirrung und Planquadrat D5, das Zimmer neben der Treppe.
Stofftiere. Schaukelpferde. Kissen. Bären in Seppelhosen. Puppen. Während ich Plüschbären in Wäschekörbe verfrachtete, dachte ich an das, was nach dem Kuss passiert war: Therese, die ohne Vorwarnung die Tür aufriss, sie dem Karöttchen aufhielt, das mit dem Tablett voller Biergläser hereinkam, es auf dem Tisch abstellte. Zum Glück begrüßte Floh das Karöttchen wedelnd, und Quirin trat schnell ans Spülbecken, hielt seine Hand unter fließendes Wasser.
»Hast du dir … hast du dir weh getan?«
Er tupfte seine Hände ab, am Handtuch blieb etwas Blut. »Sagen wir, das war es wert.« Er lachte. Das Karöttchen musterte ihn, schaute dann mich an, wortlos, ging zurück in den Laden, ohne die Tür hinter sich zu schließen, und Quirin räusperte sich.
»Entschuldige. Es … ist mir einfach passiert. Ich wollte nicht …«
»Ich auch nicht«, sagte ich schnell. Dann folgte ich dem Karöttchen, ohne mich noch einmal umzudrehen. Quirin hatte sich bald darauf zum abendlichen Surfkurs verabschiedet, und ich war verwirrt neben Julia und dem Karöttchen über den Parkplatz getrottet, zurück ins Haus.
Jetzt hörte ich die beiden auf der Treppe reden, sie wünschten mir eine gute Nacht, und ich begann, den nächsten Korb zu füllen. Ich hatte alle Teddys entsorgt, war bei Stoffhunden und Hasen angelangt, als ich das vertraute »Oh, du bist so guuut!« hörte, das Picco freudig aufnahm und in mehreren Tonlagen variierte. Ich warf den letzten Stoffhasen, hellblau, mit besonders vorwurfsvollen Knopfaugen, in den Korb, ging die Treppe hinunter in die Küche. Vom offenen Fenster her der Duft nach Kamille, die Bäume rauschten im leisen, lockenden Wind. Ich nahm mir eine Dose Bier aus dem Sixpack, den Nat Wildmoser uns mitgegeben hatte, und verließ das Haus. Warum hatte Quirin mich geküsst? Weil seine Freundin weggelaufen war? Und worüber hatten sie eigentlich gestritten? Hatte sie einen anderen? Dunkel erinnerte ich mich an das, was Strobl zu ihm gesagt hatte, in der Nacht im Biafuizl, bevor Quirin ihn nach draußen verfrachtet hatte. »Glaub nicht, ich hab sie gezwungen« – oder etwas Ähnliches.
Hatte seine Freundin etwa was mit Strobl? Drohte Quirin ihm deshalb dauernd Schläge an? In Gedanken bog ich vom Uferweg ab, überquerte die kleine Brücke. Dahinter verausgabten sich Nachtfalter an einer einsamen Laterne. Es war Zufall, dass ich auf den Weg stolperte, den ich am ersten Morgen entlanggejoggt und später mit Mirko gegangen war. Vielleicht auch nicht, vielleicht hatte es mein Unbewusstes geplant, ohne dass ich davon etwas ahnte. Aber darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Die Kühe waren nicht im Stall, sie lagen auf der Wiese, Schatten, noch dunkler als die Dunkelheit. Vorsichtig ging ich näher heran. Es hatte etwas. Durchaus. Der Duft nach Gras. Die friedlichen, schlafenden, schweren Körper hinter dem Zaun. Es war warm, so warm, dass noch Grillen zirpten. Ich öffnete meine Bierdose. Noch vor gar nicht langer Zeit hätte ich mir nicht vorstellen können, nachts woanders herumzustehen als beruflich auf einem Empfang nach einer Premiere, privat in der Disco oder in meinem liebsten Szenecafé in der Körnerstraße, einen Prosecco-Erdbeer-Cocktail in der Hand. Jetzt hielt ich ein Bier in der Hand. Und stand auf einer Kuhweide. Oder immerhin dicht davor. Vorsichtig ließ ich mich im Gras nieder, machte mir nicht die Mühe, den Boden vorher nach eventuell
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