Eiertanz: Roman (German Edition)
Christiane nur an sich denkt.«
»Das kommt daher, weil sie zu viel Fleisch isst«, sagte Lutz, um gleich darauf wieder vor sich hin zu brüten und das nächste Kochbuch aufzuschlagen. »Pommes«, murmelte er. »Pommes weißblau.«
Ich nahm mein Telefon, drückte auf Christianes Handynummer.
»Chris?«
»Ja?«
»Weißwurst. Veganes Hendl. Mit Pommes.«
»Die Keksdose ist zurück … Also, ich meine, die Urne … sie ist gekommen.«
»Gina, kannst du mir das genauer erläutern oder mir stattdessen erklären, wer oder was dich um den Verstand bringt?«
Ich entschied, dass es zu kompliziert war, meiner Chefin beizubringen, dass ein irre vor sich hin murmelnder Vegan-Koch und die Hand eines Surflehrers auf meinem Bein vermutlich zu gleichen Teilen für den Verlust meiner Vernunft verantwortlich waren, ging hinaus in den Flur, konzentrierte mich auf meine innere Kuh und fing geduldig noch einmal von vorne an. Wobei ich die kleine Nebensächlichkeit, dass die Urne schon lange hier herumgestanden und ich sie vorübergehend an die amtierende Bierkönigin verschenkt hatte, außer Acht ließ. Regula in mir raunte, dass diese Erklärung Christianes Horizont übersteigen und sie unnötig aggressiv machen würde. Ich verschwieg auch die Tatsache, dass niemand der Nachbarn wusste, wann die Urne angeliefert worden war. Und dass Hartl einmal kurz das Gesicht in den Händen verborgen hatte, als würde ihm alles zu viel.
Nachdem ich aufgelegt hatte, ging ich zurück ins große Zimmer. Julia, über ihre Müllsack-Modelle gebeugt, verdrehte die Augen, als ich Christianes Ankunft ankündigte. Lutz schien mich gar nicht zu hören, er war aufgestanden, tigerte auf und ab.
»Die Haxe. Das ist die Herausforderung! Die Haxe.« Er blieb vor mir stehen, sah mich aus glühenden Augen an. »Ich soll sie machen. Ich muss sie machen. Das Universum will diese Haxe von mir.«
»Was hat das Universum mit deiner Haxe zu tun?« Ich wollte es gar nicht wissen, dachte an Christianes Augenbraue, die nicht nur unter den Stirnfransen verschwinden, sondern erstmalig das Gebiet ihres Hinterkopfs erobern würde, wenn sie die Küche sähe, dachte an Quirin, seine Hand auf meinem Bein und wie verwaist sich mein Oberschenkel angefühlt hatte, als er sie wegzog.
»Jetzt passt alles zusammen. Die Wünsche. Die Botschaft. Haxe vegetarisch. Und große Fragezeichen.«
Mir fiel mein Bedienungsblock wieder ein, den ich für das erste Essen des Tauchkurses benutzt hatte und über dem ich Lutz hatte brüten sehen: 7 x Divers Dream. Haxe? Vegetarisch? Ich machte mir nicht die Mühe, ihn aufzuklären, wünschte ihm eine gute Nacht und zog mich zurück in mein Schlafzimmer.
Ein Schrei riss mich aus meinem Traum. Einem friedlichen Traum von einer Pfanne, in der langsam ein Stück Butter schmolz. Ich setzte mich auf. Hinter dem Fenster fahles Licht. Erstes, schüchternes Gezwitscher. Und wieder ein Schrei. Auf den ein infernalisches Geprassel folgte. Mit einem Satz war ich aus dem Bett und rannte in die Küche. Wo Lutz schreiend und um sich schlagend gegen eine Übermacht von Plastikflaschen kämpfte. Er trug nichts als eine Unterhose, sein Zöpfchen schwang wild hin und her und bestätigte meinen Verdacht, dass er es niemals löste, auch nicht beim Haarewaschen.
Eine Stunde später, als wir mit Julias Hilfe den größten Teil der Flaschen in Müllsäcke gesteckt und vor das Haus gestellt hatten, erklärte uns Lutz, dass er eine schlaflose Nacht verbracht und in aller Frühe beschlossen habe, sich in der Küche Platz zum Experimentieren zu verschaffen. Er wolle den Kühlschrank aktivieren für die Weizeneiweiß- und Tofuvorräte, die er brauchen würde, um das Rätsel der veganen Weißwurst, des vegetarischen Leberkäses und der Krönung von allem, der Haxe, zu lösen. Und jetzt würde er den Kühlschrank öffnen. Sein Zöpfchen schaukelte kampflustig, als er sich umdrehte, auf den brummenden Eisschrank zuging. Seine Boxershorts, ich hatte es schon die ganze Zeit gesehen, aber jetzt erst drang es in mein Bewusstsein, hatten ein Leopardenmuster. Und waren mindestens eine Nummer zu klein. Schon rüttelte er an der Kühlschranktür, ruckelte, zog, hackte schließlich sogar mit einem Messer auf die Eisschicht zwischen Tür und Dichtungsgummi ein. Die Eisbrocken flogen, und voller Bewunderung sahen Julia und ich zu, wie Lutz fluchte, kämpfte, wie die Muskeln seines Rückens sich spannten und damit auch die Flügel seines Schmetterlingstattoos, wie er den Griff mit
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