Eiertanz: Roman (German Edition)
ändern. Das Obergeschoss, ein riesiger Speicher, war nach wie vor unbegehbar, und der dritte Raum im ersten Stock war komplett zugestellt von Nähmaschinen in allen Formen und Größen, Plastikweihnachtsbäumen, Schlitten und Skiausrüstungen für mehrere Großfamilien. Nach einer Stunde hatte ich im Plüschzimmer unter einem Berg aus flauschigen Hunden, Kängurus mit Jungen im Stoffbeutel und einer Herde Frotteekühe ein Bett ausgegraben. Schmal, aber einigermaßen akzeptabel. Während ich es frisch überzog, hörte ich unten Töpfe klappern, hörte, wie Lutz in Rage auf und ab rannte, um seine Kreationen ringend. Er verscheuchte sogar Picco, der in aller verliebten Freundschaft und in Aussicht auf eine kleine Tofumahlzeit vorbeischaute.
»Nicht jetzt, Picco. Pommes. Weiß. Blau. Was ist blau? Blaukraut. Nein. Pflaumen. Trauben. Unmöglich! Blaue Kartoffelsorten. Schmeckt nicht.« Schritt, Schritt, Schritt. »Picco, weg von meiner Weißwurst! Weiß. Weiß.« Die Schritte hielten an. Ein Moment der Stille, der Ruhe vor einem Sturm. Dann überschlug sich seine Stimme:
»Ajoli! Ajoli! Ajoli!« Als nähme er an einem Jodelkurs teil. Auch Picco schien beeindruckt zu sein, stieß einen bewundernden Pfiff aus.
»Ajoli und Lebensmittelfarbe! Wir brauchen Sojamilch! Lebensmittelfarbe!« Ich hörte Lutz’ Schritte im Flur, hörte, wie er irgendwo herumkramte und Julia, halb abwesend, »Schatz? Was ist?« rief, dann hörte ich die Haustür. Und wieder Schritte. »Wo willst du hin? Wart auf mich!«
Als ich die Haustür aufriss, taumelte Lutz schon in Trance über den Kiesweg zum Parkplatz, in Leopardenhöschen und lederfreien Gesundheitssandalen, einen Geldschein schwenkend, und Julia, nur bekleidet mit BH und Shorts, bemühte sich, ihn einzuholen. Aber er war schon in den Bus gesprungen, ließ den Motor an. Die gesammelte Sperrmüllgemeinde schaute ihm nach, als er vom Parkplatz fuhr. Eine ältere Frau bekreuzigte sich. Ich zog Julia zurück ins Haus und schloss die Tür.
»Warum jetzt? Warum kannst du nicht warten?«
Wenigstens hatte ich dafür gesorgt, dass Julia sich anzog. In einem blasslila Sommerkleid ging sie neben mir den Uferweg entlang, um die Haare ein Tuch in der gleichen Farbe.
»Ich muss es jetzt wissen. Du sagst, es gibt echt keine Apotheke?«
»Im nächsten Ort. Es wird doch nicht so lange dauern, bis Lutz wiederkommt, warte doch einfach noch …«
»Nur mal probieren, ob es was taugt. Ob es mit diesem Schnitt funktioniert. Wenn du nicht mitkommst, geh ich allein. Ach, Gina, es ist so eine tolle Idee!«
Anscheinend setzten Kamasutra-Übungen eine außergewöhnliche Kreativität frei. Ich hatte Julia schon lange nicht mehr so aufgeregt und glücklich erlebt, und der Zustand des Karöttchens grenzte schon an Schöpferwahn. Während ich nur daran denken konnte, wie viel bis zu Christianes Ankunft noch zu tun war. Wenn ich nicht gerade verwirrt an Surflehrer dachte.
Der Surfkurs war schon auf dem Wasser, sie übten Wendemanöver, dicht am Ufer, weiter draußen kreuzte Hartl mit einem Boot voller Tauchwilliger. Quirin paddelte neben dem dünnen Mädchen her, das natürlich vom Surfbrett gefallen war. Was mich am meisten daran ärgerte, war die Tatsache, dass ich vermutlich mit Leichtigkeit von Surfbrettern fallen könnte, besser als jeder andere, wenn ich nur meine Angst vor dem tiefen Wasser überwinden und an einem Surfkurs teilnehmen würde. Aber dafür hatte ich keine Zeit.
Auch Julia hatte es eilig, stürmte auf die offene Tür des Edekas zu. Niemand saß an der Kasse, und wir gingen durch zu den Flaschen. Stimmen, von irgendwo hinter dem Regal. Therese und Franzi unterhielten sich in schnellem Bayrisch. In meinem letzten Frankreichurlaub, leider mit Prinz Muffel, hatte ich mehr verstanden.
»Apfeldatschi«, sagte Therese, »für alle Fälle. Wos woaß denn i, wos er wieda zsammkochn duad.« Dann rollte einige Male das Wort »Urne« mit mächtigem r zwischen Urlauten heran, das Nächste, was ich verstand, war: »Naa, ned mit Absicht« und etwas Empörtes, das wie »Wos denkstn von uns, ha!« klang.
»I hab doch da Hartl im Haus gesehn«, sagte Franzi, schickte ein »Legal is des fei ned, gä« hinterher, worauf ein empörter Wortschwall folgte, in dem Therese mehrfach auf Hartl, Haus, Quirl hinwies, der immerhin das damische Viech versorgt habe.
Julia befreite knisternd zwei Flaschen aus einem Sechserpack, und ich legte rasch einen Finger auf die Lippen. Aber Julia war schon auf dem Weg zur
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