Eiertanz: Roman (German Edition)
harter Hand packte, nicht aufgab, bis die Tür mit einem beinahe überraschten Schmatzen nachgab und er auf den Rücken fiel. Wir traten näher, hielten uns vorsorglich die Nase zu. Es war bestimmt ein Jahrzehnt her, seit diese Tür das letzte Mal geöffnet worden war.
Das Licht innen brannte noch, beleuchtete ein Telefon ohne Funkstation, eine Brille, einen Plastiknapf voller Vogelfutter und ein Paar nicht fertig gestrickter Wollsocken – in einem steckten noch vier Stricknadeln –, dazu ein vereistes Wollknäuel. Sonst nichts. Keine verdorbenen Nahrungsmittel. Kein Testament. Weder im Kühlschrank noch im Eisfach, das Lutz gleich darauf mit dem Hackmesser bearbeitete. Über die Jahre war es zu einer Art Miniaturarktis geworden, einer Landschaft mit Eisbergen, Schneefeldern, Gletschern, aus der Lutz mehrere Packungen Fischstäbchen mit Haltbarkeitsdatum des Jahres neunundneunzig barg, außerdem Pizzakartons, Rahmspinat und einen Damenrasierer. Alles zum Glück steinhart gefroren. Auch danach hatte sein Tatendrang kein Ende, er stellte eine Schüssel Kartoffeln auf den Tisch, wies uns an, den Boden zu schrubben, Brotmaschinen und Toaster zum Sperrmüll zu bringen. Er führte sich auf wie Bruce in seinen ungnädigsten Zeiten, und ich gehorchte ihm nur, weil sich damit Planquadrat A3, Abschnitt 5c1 bis 5 g4, das Planquadrat meiner Alpträume, wie durch ein Wunder erledigte. Zusammen trugen wir einen der vielen überzähligen Tische und vier Stühle herein, schleiften alles unter die Lampe. Zum ersten Mal sah dieser Raum annähernd wie eine Küche aus. Ich war Lutz dankbar. Obwohl er nicht aufhörte, uns herumzukommandieren.
»Ich mach den Leberkäs und die Weißwurst, ihr schält die Kartoffeln für die Pommes. Nach dem Schälen schneidet ihr sie in dünne Streifen. Aber gleichmäßig!« Er knallte einen Klumpen Tofu auf den Tisch, stellte den Herd an und klatschte einen Klacks Margarine in eine Pfanne. Mir fiel mein Traum wieder ein, aus dem er mich geweckt hatte.
»Was bedeutet es eigentlich, wenn man von schmelzender Butter träumt?«
»Du bist bereit, die Kontrolle aufzugeben«, erklärte Julia sanft, aber bestimmt. Julia besaß mehrere Traumbücher, und oft schlugen wir morgens im Büro mögliche Deutungen nach, in uns hineinkichernd und nur gestört von Christiane, die uns mahnte, dass solche Bücher nichts als laienpsychologisches Geschwätz seien, und im nächsten Atemzug wissen wollte, was ein Flugzeugabsturz bedeutete.
»Butter?« Lutz hatte Scheiben von dem Tofuklumpen heruntergeschnitten, gab jetzt Zwiebeln in die Pfanne. »Tierisches Eiweiß zum Braten, weißt du, wie schädlich das ist? Nimm lieber Margarine. Aber keine Halbfettmargarine.«
»Schatz, das ist nur ein Traumsymbol. Margarine bedeutet, sich mit Ersatz zufriedenzugeben.«
»Dann nimm halt Olivenöl in deinem nächsten Traum.«
Vorsichtig legte Lutz eine Tofuscheibe nach der anderen auf die dünstenden Zwiebeln. Ich schluckte. War ich mir sicher, dass ich wirklich von Butter geträumt hatte? Wie überprüfte man, ob das, was in der Traumpfanne schmolz, Butter oder Margarine war? Was wollte mein Unbewusstes mir sagen? Dass Quirin die Margarine in meinem Leben war, Margarine, von der ich noch nicht einmal wusste, was sie von mir wollte? Oder war ich für ihn nichts als Margarine? Vor dem Küchenfenster versammelten sich bereits die ersten frühen Pilger zur Anbetung unseres Sperrmülls, und einen Moment bedauerte ich, dass wir im Zuge der Aufräumaktion auch die Fenster frei gemacht hatten. Es war heiß in der Küche, Lutz trug nach wie vor nur seine Leopardenshorts, auch Julia hatte das T-Shirt von sich geworfen und stand in Unterwäsche neben der Pfanne. Die ersten Sperrmüllanbeter stellten sich auf Zehenspitzen, und Lutz winkte, zeigte auf den Herd.
»So, hier habt ihr euren veganen Leberkäse. Jetzt mach ich die Weißwürste. Die Form ist kein Problem! Nur die Pelle … die Pelle ist eine Herausforderung.«
»Die Pelle«, wiederholte Julia träumerisch. »Die Pelle.« Dann schrien beide gleichzeitig auf: »Gelieren!«, juchzte Lutz, und Julia rief: »Oh Gott! Ich habe eine wunderbare Kostümidee!«
Ich beschloss, dass es höchste Zeit war, Christianes Zimmer herzurichten, und verließ die Küche. Da ich das Balkonzimmer leichtfertig an Julia und Lutz vergeben hatte, blieb nur der von Plüschtieren überladene Raum nebenan. Christiane würde dort Kamasutra live und aus nächster Nähe erleben, aber ich konnte es nicht
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