Eiertanz: Roman (German Edition)
pietätlos? Sollte ich ihr vielleicht lieber einen Carport basteln?«
Christianes Anruf bereitete unserer geballten Kreativität ein jähes Ende. Wo zum Teufel wir denn seien? Ihr Navi blicke nicht durch.
Eine Minute später stand sie fassungslos vor dem Sperrmüll. Die üblichen Pilger, darunter Franzi, zogen vorbei, vom See her näherten sich Quirin und Hartl. Alle musterten Christiane äußerst interessiert, sahen ihr zu, wie sie die Ansammlung von Stühlen, Sesseln, Schränkchen, Buddhafiguren, Drachen, Fröschen, Gießkannen, Toastern, Brotmaschinen, Bügelbrettern und Stehlampen anstarrte. Christianes Kostüm war von der Fahrt kaum zerknittert, sie war perfekt geschminkt, die kupferroten Haare, vom Friseur mit den bebenden Nasenflügeln makellos gelegt, schmiegten sich wie eine schimmernde Kappe an ihren Kopf, sie stand auf hohen, glänzenden Pumps, eine Hand am Griff ihres Lederkoffers.
»Wie sieht es denn hier aus? Und … wie seht ihr denn aus?«
Ich griff schuldbewusst nach meiner Paillettenkappe. Ich hatte mich noch nicht umgezogen, trug meine verschmutzten Kampfleggins und mein ältestes T-Shirt – was gegen Lutz und Julias Anblick beinahe Haute Couture war: Lutz, der in der Küche den Backofen in Betrieb genommen und anscheinend seinen Kopf in etwas Verrußtes gesteckt hatte, ähnelte mit geschwärztem Gesicht, schweißglänzendem Oberkörper und Leopardenshorts einem Stammeskrieger. Julia, in kurzen Turnhosen, hatte das schnell geschneiderte, ärmellose Dirndlmieder aus aneinandergefügten eingerollten Kondomen selbst anprobiert, darunter trug sie nichts.
»Sag mir, dass das ein Traum ist, Gina«, murmelte Christiane, machte einige zögernde Schritte auf das Haus und uns zu, und wie an meinem ersten Tag bockte ihr Rollkoffer im Kies, schlingerte und warf sie aus der Bahn, sie knickte um, rang mit einem Schmerzenslaut um Gleichgewicht. Eine Sekunde zu spät lösten wir uns aus unserer Erstarrung, Julia, Lutz und ich. Es war Hartl, der sein Surfbrett fallen ließ und zuerst bei ihr war.
»No? Geht’s? Ich bin Ihr Nachbar.« Er bot ihr seinen Arm, griff mit der anderen Hand nach ihrem Koffer und geleitete sie zum Haus.
»Warum sagt dieser Papagei ständig: Du bist so gut?«
Christiane strich sich die Ponyfransen aus dem Gesicht, kniff die Augen zusammen, riss sie wieder auf. Was sie schon die ganze Zeit tat. Als könnte sie irgendetwas nicht glauben.
»Das … na ja, das wirst du schon noch rausfinden. Ich zeig dir mal, wo du schläfst, ja?«
»Du bist soooo gut!« Picco flatterte auf, kreiste eine Runde durch die Küche, landete auf der Schulter seines Beschützers, Freundes und Hauptfutterlieferanten, der wieder vor dem Backofen hockte und gebannt hineinblickte.
»Oder willst du erst das Wohnzimmer sehen? Die – ähem – Urne?«
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, für die Urne einen kleinen Baldachin zu bauen, zumal es sich eher um einen wackligen Behelfsbaldachin handelte. Vier Bleistifte, ein Stück Müllsack. Worauf Picco eben ein Andenken hinterlassen hatte. Christiane stand eine Weile davor. Schweigend und kopfschüttelnd. Es sah nicht so aus, als ob sie trauerte. Ebenso kopfschüttelnd stand sie wenig später in dem Zimmer, das ich für sie hergerichtet hatte.
»Was ist das?« Sie hielt den Bären in Seppelhosen hoch. Den Bären, der mich so vorwurfsvoll und flehend angesehen hatte, dass ich es nicht übers Herz gebracht hatte, ihn wie die anderen zum Sperrmüll zu geben. Wie ich auf die Idee gekommen war, ihn auf Christianes Kopfkissen zu setzen, konnte ich jetzt, neben Christiane in ihrem Kostüm, ihrer makellosen Bluse, mit ihrem ebenso makellosen Make-up, duftend und perfekt, nicht mehr verstehen. Verlegen schaute ich auf den Boden. Den Picco auch schon befleckt hatte.
»Äh, vielleicht willst du dich erst mal frischmachen?« Etwas Besseres als das, was in Filmen in solchen Situationen gefragt wurde, fiel mir nicht ein. Ich war schon öfter mit meiner Chefin in Hotels gewesen, zu Messezeiten oder wenn einer unserer Künstler einen wichtigen Fernsehauftritt hatte. Normalerweise buchten wir Vier- bis Fünfsternehotels, und abends besprachen wir Geschäftliches an der Bar. Es konnte sein, dass Christiane auch einmal privat wurde, was sich darin äußerte, dass sie mir Vorträge hielt, dann fuhren wir mit dem Aufzug in unser Stockwerk und verabschiedeten uns vor der jeweiligen Zimmertür. Teure Hotels waren niemals hellhörig, und was immer Christiane danach
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