Eiertanz: Roman (German Edition)
wildem Durcheinander: Hatte Mirko schon gewusst, dass Christiane ihn rauswerfen wollte, als er herkam? Verstand Christiane doch, was Anderl sagte, immerhin hatte sie eben darauf geantwortet? Und was war eigentlich zwischen ihr und Mirko?
Etwas, was ich mich auch früher schon oft gefragt hatte. Gedankenverloren schaute ich an Julia vorbei auf ein Bild an der Wand neben der Tür, das weniger vergilbt wirkte als die anderen Fotografien, weniger alt, eigentlich recht neu. Und auf dem Bild waren – ich reckte den Hals – ausschließlich Frauen zu sehen, genau konnte ich es aus der Entfernung nicht erkennen. Anderl kam mit Julias Kartoffelsalat, und Julia rückte ein Stück näher zum Tisch, verdeckte das Bild. Ich sah es erst wieder, als wir aufbrachen: Es war tatsächlich eine Gruppe Frauen, in Nachthemden, alle hielten Sektgläser in der Hand und sahen aus, als wäre dies nicht ihr erster Sekt an diesem Abend. Ganz vorne präsentierte sich die Nail-Art-Metzgerin mit hochtoupierter Frisur, in etwas Schwarzem, Netzartigem, daneben die blondierte Frau, die ich zuletzt in einer Kittelschürze gesehen hatte, im Edeka. Auf dem Foto trug sie einen durchsichtigen Unterrock, darunter sah man pralle Airbags, gehalten von einem Spitzen-BH, so viel konnte ich im Vorbeigehen erkennen, stehen bleiben wollte ich nicht, um nicht unnötig Christianes Aufmerksamkeit darauf zu lenken, zumal ich, mit einem letzten Blick, Franzis imposante Umrisse erhaschte. Sie explodierte aus einem Spitzenkorsett, und neben ihr, sah ich richtig …? Vorbei. Anderl hielt uns die Tür auf, verabschiedete Christiane in aller Liebenswürdigkeit und mit gewählten Worten: Es freue ihn, dass ihr der Rehbraten gemundet habe. Er sagte tatsächlich: gemundet, und Christiane nickte, gemessen lächelnd, und schritt durch die aufgehaltene Tür. Als sie schon auf der Treppe war, packte Anderl Julia am Ellenbogen: »Gä, Madl, des mittm Sadomaso lasst dir no amoi durchn Kopf gehn, des muass scho kürzer sein, des Kleid.«
Sie werde es sich überlegen, bestätigte Julia etwas verlegen, dann verschwand Anderl wieder im Lokal, und Christiane drehte sich zu uns um, nicht mehr lächelnd, mit hochgezogener Augenbraue: »Präserl und Sadomaso – ich glaube, ihr habt mir einiges zu erzählen.«
Auf dem Rückweg am See entlang war es vor allem Julia, die erzählte. Nicht das, was Christiane wissen oder auch nur hören wollte. Julia hielt eine flammende Rede über die schreiende Ungerechtigkeit hier am Seeufer, die protzige, naturfeindliche, großkapitalistische Hotelkette, die Strobl bauen wollte, über den Untergang einer Tauchschule, eines Cafés und eines Trachtenladens, der kurz vor seinem großen Durchbruch stehe, denn es gebe bald eine Modenschau, auf der Modelle gezeigt würden, die …
»Ich hab es dir ja schon am Telefon angedeutet«, unterbrach ich sie, bevor sie auf die Idee kam, vor Christiane das Wort Kondomdirndl auszusprechen. »Es wäre wirklich schade, wenn …«
»Wenn eine Tauchschule untergeht? « Christiane lachte, dieses ungläubige, fassungslose Lachen, das ich an ihr kannte, das Lachen der einzigen Person, die noch bei Verstand war, inmitten einer Horde Wahnsinniger.
Julia ließ sich von diesem Lachen nicht beeindrucken, redete weiter: »Wenn du an Strobl verkaufst, hast du einen unschuldigen Uferstreifen auf dem Gewissen.«
Bevor Christiane wieder in ihr Allein-unter-Irren-Lachen ausbrechen konnte, versuchte ich, sie sachlich und bestimmt ins Bild zu setzen, nannte Fakten, die ich von Strobl gehört hatte. Dass die Tauchschule, vermutlich unwissentlich, einen Teil des Grundstücks nutze, es sei wohl größer als angenommen, deshalb käme Strobl morgen zum Vermessen. Man könne sicher über dies alles verhandeln, wobei diese Strobls tatsächlich nicht die angenehmsten Zeitgenossen seien und das Ganze noch durch eine alte Feindschaft zwischen den Strobls und den Nachbarn erschwert werde … Ich unterbrach mich, kniff die Augen zusammen, denn ich glaubte, nicht recht zu sehen: Vom See her näherte sich eine Kette Riesenglühwürmchen. Julia und Christiane hatten sie auch erspäht, und zusammen schauten wir zu, wie sie näher kamen, über den dunklen Strand, Menschen mit Stirnlampen, in Badekleidung und Neoprenanzügen. Zwei von ihnen winkten: Judda und Üwe.
»Mal langsam, Gina.« Christiane strich sich eine Ponyfranse aus dem Gesicht, anscheinend erleichtert, dass ich noch halbwegs bei Vernunft war. »Jetzt macht das Ganze langsam
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