Eiertanz: Roman (German Edition)
später. »Wahnsinn.« Wir hatten die Treppe zum zweiten Stock freigelegt, arbeiteten wie immer, brachten Christiane alles, was annähernd nach Papier aussah, als ob es den versiegelten Brief in meiner Laptoptasche nicht gäbe. Das zweite Stockwerk war eine neue Herausforderung. Ein riesiger Speicher, geteilt in zwei Räume, beide voller Koffer, Truhen, Fischernetze, Taue, Angeln, Gummistiefel und jeder Menge ausgestopfter Tiere. Einer oder mehrere von Mirls Vorfahren mussten leidenschaftliche Fischer und Jäger gewesen sein. Mit einer deutlichen Vorliebe für Wildschweine. Von überallher glotzten uns stumpfe Eberaugen an, während wir Truhen und Koffer öffneten, uns verstohlen verblichene Abendkleider an den Körper hielten, eine Sammlung alter Schminkkästen, Nageletuis, Fächer aus Pfauenfedern und eine riesige Kollektion Alben mit Bananenaufkleberchen aus aller Welt entdeckten.
»Sie ist nicht mehr schlammbraun«, flüsterte er. »Sie ist glühend rot.« Und war schon auf dem Weg in die Küche, um von der barbarischen Ausstellung toter Tiere wegzukommen und seinen neuesten im Römertopf brodelnden Haxnversuch zu überwachen. Christiane thronte im großen Zimmer, ließ sich jedes Stück Papier zeigen. Und überraschte uns nach einer Stunde mühsamen Auf-und-ablaufens mit der Ankündigung, sie müsse jetzt gehen, sie mache einen Tauchkurs. Eine Ankündigung, die zur sofortigen Auflösung unseres Suchtrupps führte.
Lutz bewachte die Lauchstange im Topf, begurrt von Picco, mit dem wir abgesprochen hatten, dass er bei nahender Gefahr sofort und ohne Umschweife wieder seinen Käfig aufzusuchen habe, sonst hätten Flugfreiheit, Naschfreiheit und Klecksfreiheit schnell ein Ende. Julia übernahm den Wachtposten auf dem Balkon, bastelte allerdings so konzentriert an ihrem Kondomdirndl, dass wir Christiane bestimmt verpasst hätten, wenn ich nicht, in der offenen Haustür stehend, den Parkplatz im Auge behalten hätte. Ich sah Lutz, der den Römertopf mit der Lauchhaxe ins Café hinübertrug, ich sah, wie der Bus mit dem Logo der Nail-Art-Metzgerei neben Christianes Cabrio parkte. Aus dem Auto stieg Kathi, die für Julia als Bedienung einspringen sollte, winkte mir zu und verschwand im Café. Ich hatte das Notebook auf der Kommode im Flur abgestellt, erledigte nebenbei die dringendste Geschäftspost. Und bestellte die weiße Blume ab, die nach wie vor in Mirkos Garderobe geliefert wurde. Falls sie ihm fehlte, würde ich es vermutlich nicht erfahren. Was wohl genau zwischen ihm und Christiane vorgefallen war? Ich hatte schon längere Zeit den Verdacht gehabt, dass er und Christiane ein Paar gewesen sein könnten, damals in den legendären Zeiten, von denen Christiane so gern erzählte. Sie war, ich konnte nur grob rechnen, da ihr Alter nicht unbedingt zu Christianes Lieblingsthemen gehörte, ungefähr fünfzehn Jahre älter als er, vielleicht hatte sich der zwanzigjährige Mirko unsterblich in die fünfunddreißigjährige Chris verliebt und … Verdammt! Ich schreckte hoch, beinahe hätte ich über den Gedanken an Mirko das Ereignis verpasst, wegen dem ich hier ausharrte: die Ankunft des Tauchkurses vor dem Café. Sonnenbrandrot, plaudernd, pilgerten sie Richtung Eingang, Üwe trug lässig seine Flossen, Die-vom-Surfbrett-fällt hielt eine Wasserpflanze in der Hand, vermutlich vom Seegrund gepflückt, zeigte sie Quirin mit einem glücklichen Lächeln. Ein ebenso glückliches Lächeln – oder täuschte ich mich? – brachte Quirins Augen zum Leuchten, als er mich sah.
»Hallo, Frau Zuhlau. Erwarten Sie Besuch? Doch nicht etwa Herrn Strobl?«
Ich war ganz entspannt und würde nicht rot werden. Auf keinen Fall.
»Ich … nein, ich stehe nur zufällig hier … Ich meine, es ist doch so schönes Wetter, und im Haus ist es …«
Anscheinend war ich in Selbsthypnose nicht viel erfolgreicher als in Fremdhypnose. Ich spürte, wie ich unter meiner Elfenkappe erglühte. Ich musste noch nicht einmal an seine Lippen denken, an seine Hände auf meinem Bademantel, an alles, was ich noch gespürt hatte, als ich mich – schamlos? – an ihn gepresst hatte, anscheinend dachte er ebenfalls an etwas in dieser Richtung, auch sein Gesicht glühte sanft. In seinen Augen ein Glitzern.
»Verstehe, die Chefin hat dir Arrest verordnet.«
»Ich hab noch was von dir, also deinen …« Angesichts der gesammelten Aufmerksamkeit des Tauchkurses verschluckte ich das Wort »Bademantel«.
»Ja, vielleicht sollten wir das eine oder
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