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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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als der Sonne beim Aufgehen zuzusehen. Während in Köln zur gleichen Zeit U-Bahnen klingelnd in Schächte rasten und Autofahrer einander anhupten, spielte hier das Licht in aller Ruhe mit dem See, tanzte auf der eben noch grauen, glatten Fläche. Auf der etwas trieb. Ein schwarzer Punkt. Ich kniff die Augen zusammen. Schaute genauer hin. Ein Kopf. Eindeutig. Keine Schwimmbewegungen, nichts, was spritzte, das Wasser teilte. Sofort fielen mir sämtliche Rettungsanweisungen ein, die ein Bademeister mit Goldkettchen über dem Bierbauch in einer Fernsehsendung erläutert hatte: Wenn ein Ertrinkender nicht mehr schwamm, auch nicht mehr winkte, war höchste Eile angesagt. Aber für eine erbärmliche halbe Minute war meine Angst vor dem tiefen Wasser stärker, und ich wartete klopfenden Herzens, hoffte, dass sich der Kopf doch noch aus dem Wasser heben oder sich als Holzstück entpuppen würde. Es blieb ein Kopf. Und da ich entsprechende Sendungen im Fernsehen immer mit einem gewissen Schaudern, dafür umso aufmerksamer verfolgte, wusste ich genau, was zu tun war: den zu Rettenden mit einem Achselgriff stabilisieren, sich vor der Umklammerung des Ertrinkenden in Acht nehmen, ihn vorsichtig ziehen. Was man tun sollte, wenn man sich selbst vor lauter Angst am liebsten an den Ertrinkenden klammern würde, hatte der Experte nicht gesagt.
    Vermutlich war das Letzte, was der arme Mensch da draußen brauchte, eine Retterin wie mich. Egal – hier trieb jemand, der sich nicht von der Stelle bewegte, nicht einmal mehr imstande war zu winken. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Entschlossen zog ich die Schuhe aus, sprang in T-Shirt und Shorts in den See. Das Wasser war kalt. Mir war kalt. Meine Kleider waren schwerer, als ich gedacht hatte. Ich hatte Angst. Trotzdem kraulte ich stetig voran, wenigstens mit den Armen. Wie man die Beine beim Kraulen bewegte, war mir immer ein Rätsel geblieben, ein Rätsel, das ich jetzt bestimmt nicht lösen würde. Egal – es ging um ein Menschenleben. Ich kraulte, den Kopf unter Wasser, zählte meine Schläge, gegen die Angst, zwanzig, und noch einmal zwanzig, dann hob ich den Kopf aus dem Wasser.
    »Interessanter Schwimmstil«, sagte jemand.
    Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich schnappte nach Luft, verschluckte mich. Und als mein Herz wieder einsetzte, in doppelter Geschwindigkeit, wurde mir klar, dass ich im Wasser war. Im kalten Wasser. Weit vom Ufer entfernt. In nassen Kleidern, die mich nach unten zogen. Und das Wesen, das mit mir sprach, war kein Gespenst. Sondern ein lebendiger Surf-, Tauch- und Schnorchellehrer. Samt Angeberschwimmbrille.
    »Vielleicht würde dir eine Privatstunde im Schwimmen … He, ist dir nicht gut? Ganz ruhig, versuch, einfach auf dem Wasser zu liegen.«
    Schon hatte er mich im Achselschleppgriff und zog mich, ich spürte die Bewegung seiner Beine unter mir und seinen Atem an meinem Gesicht. Ich lag ruhig im Wasser, wie Quirin es verlangte, ließ mich tragen, treiben, es tat gut, so zu treiben, schwerelos, aufgefangen, geborgen.
    »Gut, du machst es sehr gut, Gina, ganz regelmäßig atmen, keine Angst, wir sind gleich am Ufer. Mei, was machst denn auch so früh am Morgen schon im See?«
    »Das fragst du mich?«
    Empört drehte ich mich zu ihm um. »Ich wollte dich retten!«
    »Du? Mich? Interessante Idee.«
    Er hatte jetzt Boden unter den Füßen, ließ mich jedoch nicht los, anscheinend glaubte er noch nicht an meine wiedererwachten Lebenskräfte. Und ich fühlte mich tatsächlich schwach nach dem Abenteuer, wie ein Kind ließ ich mich von ihm aus dem Wasser tragen.
    »Wo ist dein Handtuch?«
    »Ich h…hab kein H…H… Handtuch. Ich w…wollte d…doch gar nicht ins … Ww…«
    Das Zähneklappern war nicht zu unterdrücken, und Quirin stellte mich auf die Füße, legte den Arm um mich.
    »Komm mit.« Wir gingen schnell, einige Meter am Strand entlang, bogen ab zu einem großen Haus hinter Büschen, das ich bisher nur aus der Entfernung gesehen hatte. An der Hauswand lehnten Surfbretter und Pressluftflaschen, die Terrasse war mit Palmen in Kübeln bepflanzt, der Balkon darüber war überladen mit blühenden Blumen, auch rechts und links der Glastür wucherten Pflanzen aus Körben, rankten sich an Stäben sonnenwärts, lugten über Kästen. Ich bibberte immer noch, hielt mich an Quirin fest, und in perfektem Gleichschritt, viel gekonnter als auf der Probe, überquerten wir die Terrasse.
    »Mei, komm schnell, rein mit dir.« Quirin öffnete eine Glastür,

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