Eifel-Filz
rutschte ein Stück weg. Er keuchte: »Nicht doch.«
Ich spüre, wie schwierig es ist, Gewalt zu beschreiben. Fast unmerklich schwindet mit jedem Wort die Realität einer solchen Begebenheit. Beinahe zwanghaft versuche ich, mir den besseren Part zuzuschieben, mir die Attitüden des Siegers zu geben. Es gab keinen Sieger, und ich hatte in dieser Nacht nur Angst, die zuweilen ins Kraut schießt und zur Panik wird.
Die Distanz zwischen uns betrug nicht mehr als zwei Meter, und ich wollte nichts so sehr wie den Schutz der Bäume. Aber in meinem Rücken war ein Stamm, und etwas stach schmerzhaft in meine linke Seite. Ich ließ mich nach vorn fallen und landete auf ihm. Ich spürte eine kalte Wut.
Es war obszön, weil mein Gesicht seinem sehr nahe war und weil ich seinen Atem roch. Ich sah, daß er die Augen geschlossen hielt und daß die Waffe zwischen seinen Beinen lag. Ich griff danach, und wahrscheinlich gehört es zu den festen Versatzstücken in den Funktionen unseres Gehirns, daß ich erwartete, er würde ebenfalls danach greifen. Er griff nicht danach, atmete scharf und stoßweise, und vor seinem Mund bildete sich eine Blase.
Ich hatte die Waffe, und ich schoß. Ich bin ganz sicher, daß ich nicht zielte. Ich bin auch ganz sicher, daß ich ihn nur zum Schweigen bringen wollte, niemals töten. Ich drückte einmal ab und versuchte dann panisch, von ihm herunterzukommen.
Sein Kopf klappte auf die Seite, er streckte die Beine aus wie ein Mann, der sehr müde ist. Er atmete nicht mehr.
Der erste Gedanke danach war absurd. Ich dachte: Vielleicht hat er sich falsch ausgedrückt, vielleicht war er harmlos, vielleicht war das ein Mißverständnis. Wir reden oft über Gewalt, aber wir sind vollkommen überfordert, wenn sie uns trifft.
Das erste, an das ich mich wieder klar erinnere, war die Tatsache, daß mir sturzartig schlecht wurde und ich mich übergab. Das tat weh, ich hatte kaum etwas im Magen, und es wollte nicht aufhören. Dann ging ich zu meinem Wagen und schaltete aus irgendeinem Grund die Blinkanlage aus. Das gleiche machte ich bei dem Jeep.
Plötzlich fiel mir die Waffe ein. Ich wußte nicht, wo sie war. Dann kam die Angst, daß er aufstehen und auf mich schießen würde. Ich wagte es sekundenlang nicht, zu ihm zu gehen. Als ich es riskierte, lag er unverändert und starrte mit sehr leeren Augen in den Himmel, der nicht zu sehen war. Die Waffe lag dicht neben seinem Gesicht, es bereitete mir Qual, sie zu nehmen und in die Tasche zu stecken.
Der Schmerz setzte ein. Er kam heftig und stoßweise und breitete sich in meiner linken Körperhälfte aus. Augenblicklich konnte ich kaum mehr gehen, hatte kein Gefühl mehr im linken Bein.
Ich humpelte zu meinem Auto und zog mich auf den Sitz. Der Mann hatte mich seitlich außen in den Oberschenkel getroffen, die Hose war vollkommen durchblutet. Ich nahm das Taschenmesser und schnitt den Stoff auf. Das Loch war sehr klein, die Kugel mußte in meinem Bein stecken.
»Hier kommt stundenlang niemand vorbei«, hatte er gesagt.
Ich legte meinen Kopf soweit wie möglich zurück und dachte fieberhaft, daß ich Hilfe holen mußte. Ich hatte Furcht, ich würde ohnmächtig werden, wenngleich mir diese Furcht sofort dumm vorkam, denn sie würde den Schmerz auslöschen. Dann kam so etwas wie ein schwarzes Tuch über mich.
Jemand rüttelte an meiner Schulter und rief laut: »Siggi! Siggi!«
Ich versuchte hochzukommen, aber es gelang nicht. Ich lag quer auf beiden Vordersitzen.
»Beruhige dich, nicht bewegen. Du hattest einen Unfall. Ich fahre und hole die Sanis.« Es war eine Männerstimme.
»Nix Unfall«, stammelte ich. »Er wollte mich töten. Der Tote da wollte mich töten.«
»Welcher Tote?« fragte die Stimme.
»Der Tote da«, sagte ich.
Die Geräusche von Schritten, Stille, wieder Schritte.
»Er hat mich ins Bein getroffen«, erklärte ich. »Bist du es, Tom?«
Merkwürdigerweise muhte eine Kuh.
»Ja«, sagte er. »Ich bin mit zwei Rindern unterwegs. Ist das eine Schußwunde in deinem Bein?«
»Ja. Hast du Aspirin bei dir oder sowas?«
»Habe ich nicht. Ich hole jetzt Hilfe.«
»Warte mal, warte mal. Nicht einfach Hilfe. Fahre zu mir nach Hause. Rodenstock heißt der Mann. Er muß sofort hierherkommen. Verdammt! Hast du wirklich kein Aspirin?«
Tom lachte leise, wie er dies immer zu tun pflegt, wenn jemand eine dumme Bemerkung macht. »Brauchst was anderes«, sagte er.
Schritte, dumpfes Trampeln der Tiere in dem Hänger, irgendwelche nicht zu
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