Eifel-Krieg
Frau: ›Dann sagen sie ihm bitte, Samtmöschen ist hier und wartet auf ihn.‹ Sie hängt ein. Ich war perplex. Wer war Samtmöschen? Und wieso wartet Samtmöschen auf Alfie? Mein Mann hatte mir eine Telefonnummer gegeben, unter der ich ihn im Notfall erreichen konnte. Ich wähle also die Nummer, und mein Mann ist dran und fragt, was los sei. ›Samtmöschen wartet auf dich‹, sage ich. Er war sprachlos, schwieg mindestens eine halbe Minute und erklärte dann hastig, das mit Samtmöschen sei eigentlich ganz normal, sie hätte nun mal diesen Spitznamen, und sie sei auf dem Eulenhof zuständig für die Massagen. Also: Wenn die Jäger nach langem Hocken auf dem Ansitz vollkommen verkrampft aus der Kälte zurückkehrten, dann lockere Samtmöschen alle die stressbedingten Verspannungen. Da verlor ich die Fassung und brüllte ihn an, er solle mir gefälligst mit seinen Nutten vom Leib bleiben. Und ob er denn überhaupt noch klar bei Verstand sei? Ich muss dazu erklären, dass mein Mann niemals ein ausgesprochen sexuelles Wesen war. Er ist ein ausgesprochen miesepetriger Typ. Katholisch erzogen, ist er ein leibfeindlicher Mensch, und ich weiß von ihm, dass er noch im Alter von zwanzig Jahren der aufrichtigen Meinung war, der Beischlaf diene ausschließlich der Fortpflanzung, und wenn man dabei so etwas wie Genuss empfinde, dann müsse man das voller Reue dem Priester bei der Beichte erklären. Ich flippte aus. Ich schrie ihn an und sagte: ›Wenn du nicht in zwei Stunden aus deinem gottverdammten Puff in der Eifel hier in Trier bist, verkaufe ich die Firma, dich inbegriffen!‹«
»Oh je!«, sagte ich.
Sie sah mich an und lächelte. »Er kam natürlich, ganz reuiger Sünder. Ich war inzwischen betrunken und schon wieder nüchtern. Ich wollte einfach wissen, was da in der Eifel wirklich los war, wo genau er sich einquartiert hatte. Unsere GmbH gehört uns beiden. Er kam, und ich sagte: ›Ich lasse mich scheiden, wenn du mich so mies behandelst.‹ Damit konnte er nicht umgehen, das versetzte ihn in einen hilflosen Zustand. Ich sagte ihm auch, er sei ein ausgesprochen beschissener Ehemann, und er sei dabei, seine Familie zu verraten. Ich tobte, ich wollte ihn vernichten.«
»Und es kam noch mehr, denke ich«, sagte Rodenstock leise.
»Es kam viel mehr«, pflichtete sie bei, und ihr Gesicht wurde hart und kantig. »Ich kann mich an diese Nacht so gut erinnern, weil mein Weltbild auf der Kippe stand. Mein Vater war ein alter SPD-Mann, er arbeitete für die Stadtreinigung in Trier, er fuhr Kehrmaschinen, er ermöglichte mir das Studium. Er gab uns Kindern mit auf den Weg, dass wir niemals mehr zulassen dürften, dass ein Mensch in Deutschland rechtes Gedankengut vertritt. Er sagte, Hitler werde immer ein Irrer sein und bleiben, der Zweite Weltkrieg sei ein Makel, der das ganze deutsche Volk betreffe. Ich habe also mit der Muttermilch die Verpflichtung aufgenommen, diesen Hitler als eine schwere, tödliche Krankheit zu betrachten. In dieser Nacht lagen wir beide auf unseren Betten, und mein Mann erzählte mir von diesem Leben auf dem Eulenhof. Er fand das alles wunderbar, während ich neben ihm lag und dachte: Es kann nicht möglich sein, dass dieser Mann mein Ehemann ist. Ich war eine Woche todsterbenskrank, ich ließ sogar unseren Arzt kommen.«
»Ist Ihr Mann denn …«, Rodenstock schien das richtige Wort zu suchen, »ist er naiv?«
»Das auch«, antwortete sie schnell. »Ich musste lernen zu begreifen, dass er mir entglitten war, dass er in einer anderen Welt lebte. Ich fragte ihn natürlich nach Samtmöschen, aber er versicherte, dass das alles harmlos sei. Nichts mit Sex und so. Ich weiß, dass er log, muss aber zugeben, dass mir das nicht mehr wichtig war. Er sprach von Sonnwendfeiern, er sprach von Wotan-Abenden, er sprach von einem besseren Deutschland, er sprach von der Überlegenheit der nordischen Rasse, er sprach davon, dass diese Rasse sich letztlich durchsetzen werde und dass es keinen Sinn mache, sich gegen diese Tatsachen zu wehren. Er sagte dauernd: Wir werden siegen! Und er sagte auch, die Tötung von sechs Millionen Juden habe niemals stattgefunden und sei der Versuch, die Geschichte neu zu erfinden. Damit müsse Schluss sein. Ich lag da und begann zu frieren. Als ich ihn heute hier im Krankenhaus liegen sah, da merkte ich, dass ich ihn nicht mehr kenne. Er ist ein Fremder geworden, und eigentlich schäme ich mich für ihn. Er hat meine Familie geschändet. Ich werde alles tun, damit er gesund wird,
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