Eifel-Krieg
katholischen Kirche durch befreundete Priester. Er sei in die Eifel gegangen, weil er hier nicht so viele Menschen um sich herum habe, nach deren Nase er tanzen müsse. Aber: Er lebte im Nichts, kam damit nicht klar. Er hatte seine Wurzeln verloren und fand auch hier keine Heimat. Ein paar meiner Gäste warfen ihm vor, er sei doch wohl verrückt, ausgerechnet auf diesem Hof der Neonazis zu leben. Aber er sagte, das sei billig, da könne er die Übernachtungen und sein Essen abarbeiten und außerdem viel im Freien sein. Und er sagte, was viele sagten: So schlimm seien die doch gar nicht.« Sie schlürfte an ihrem Gin Fizz.
»Kam er regelmäßig?«
»Anfangs nicht, später schon.«
»War er in Sie verliebt?«
»War er. Aber ich habe ihm erklärt, dass das bei mir nicht läuft und dass ich nicht in ihn verliebt bin. Ich habe ihm auch gesagt, dass ich auf Frauen stehe. Dann kam er eine Weile nicht, aber schließlich tauchte er wieder auf.«
»War er ein kluger Junge?«
»Das war er, auf jeden Fall. Und er konnte gut argumentieren, er wurde in dieser Runde hier richtig beliebt.«
»Aber vermutlich begriff er langsam, was er sich mit dem Eulenhof eingehandelt hatte, nehme ich an.«
»Das musste er begreifen, ob er das wollte oder nicht. Es gibt da auf dem Hof diesen Chef, diesen Ulrich Hahn. Der hat ihm glatt verboten, in dieses Haus in Nettersheim zu kommen, vor dem Feuer zu sitzen und irgendwelche Fragen mit irgendwelchen Leuten zu diskutieren.« Sie wurde für Sekunden fahrig, bewegte ihre Hände schnell vor dem Körper, griff nach einer blauen Schachtel, nahm einen Zigarillo heraus und zündete ihn an.
»Und? Kam er nicht mehr?«
»Er kam nicht mehr. Er kam nie mehr am Sonntagabend. Dieser Ulrich Hahn hatte gesagt: ›Wir diskutieren niemals unsere Lebensform mit artfremdem Gesocks! Wir sind die Elite!‹ An diese beiden Sätze kann ich mich noch heute gut erinnern. Und ich fröstele, wenn ich daran denke.«
»Darf ich mir eine Pfeife stopfen?«
Es war verblüffend, wie schnell ihr Gesicht sich aufhellte. »Sie rauchen Pfeife? Das ist ja ein Wunder. Rauchen Sie, rauchen Sie, ich rieche das so gern.«
Ich holte ein ganz altes Schätzchen von
Danske Club
aus meiner Weste und stopfte sie. Sie war mindestens fünfundzwanzig Jahre alt.
Sie sah mich an und lächelte innig. »Ich habe mich immer gefreut, wenn mein Vater kam und sich eine Pfeife ansteckte. Das war wie zu Hause.«
»Wie hat Blue es geschafft, Sie trotzdem zu treffen?«
»Das war ganz einfach. Er hatte ja so einen uralten Opel. Der gehörte übrigens dem Eulenhof. Er verabredete sich mit mir zu einem Treffen. In Hillesheim zum Beispiel oder in Adenau oder in Euskirchen. Wir saßen dann irgendwo und tranken einen Kaffee, und er erzählte. Und was er erzählte, wurde immer wirrer.«
»Können Sie ein Beispiel nennen?« Ich zündete die Pfeife an und pustete mit einem Grinsen den Rauch in ihre Richtung.
»Im Sommer tankt der Eulenhof Kultur«, begann sie. »Oft gibt es Lesungen, meistens mit Hitler oder mit heutigen Autoren der rechten Szene. Sie laden einen willigen Schauspieler ein, und der liest am Abend beim Lagerfeuer der versammelten Gemeinde einen Passus aus
Mein Kampf
vor. Als Blue ausflippte, war es ein Text über das sogenannte Weltjudentum, über das der größte Feldherr aller Zeiten mit seinem schrecklichen Bildungsmangel lamentierend herfiel. Man muss sich vorstellen: Das Feuer prasselt, der Schauspieler liest, und alle sind sie ehrfurchtsvoll. Und am Ende sagt unser Blue laut in die Runde: ›Das ist der größte Schwachsinn, von dem ich je gehört habe!‹ Das war ein Eklat, alle waren entsetzt. Ein Mensch namens Veit Sowieso bittet Blue abseits und schlägt ihn dann systematisch zusammen. Blue liegt drei Tage und drei Nächte in einem elenden Zustand in seinem Zimmer, ärztliche Hilfe wird ihm verweigert. Dieser Veit hat ihm drei Vorderzähne ausgeschlagen. Er hat schwere Prellungen und ständige Schmerzen. Es gibt nur einen auf dem Hof, der ihm heimlich etwas zu essen und zu trinken bringt. Ein gewisser Gerhard Hahn, den nennen sie Wotan. Das ist ein jüngerer Bruder von Ulrich Hahn, dem Chef. Der hat Blue sogar zu einem Zahnarzt gefahren, weil ihm doch drei Zähne fehlten. Blue sagte immer, dieser Wotan sei der einzig Vernünftige in der Sippe, der rede nicht immer von der arischen Rasse und Juden raus und Ausländer raus und von Kümmeltürken, die nie etwas gelernt haben, und Kopftuchfickern. Als Blue hier anrief, konnte er
Weitere Kostenlose Bücher