Eifel-Krieg
warten.
Und was sollte ich mit dem tun, der ihn so grausam verprügelt hatte? Rückfall in meine katholischen Zeiten? Liebe deinen Nächsten? Großmütiger Verzicht auf Rache? War das akzeptabel? War es eindeutig nicht. Veit der Feiste, oder wer immer es getan hatte, musste mit allem Bösen rechnen. Gleichzeitig fürchtete ich diese Gefühle, und ich hatte sie oft bekämpft. Ich empfand das Prinzip Rache als primitiv. Es war ganz eindeutig, wie ich fand: Ich hatte eine leise Furcht, in diesem Fall zu versagen, einfach zu kapitulieren, wenn Rodenstock nicht dabei war. Also war Abhängigkeit im Spiel. Ich hatte mich einfach an den Zustand gewöhnt, dass er immer da war, dass ich ihn immer fragen konnte. Das zu begreifen, war ziemlich ernüchternd, aber auch wunderbar. Zuletzt rettete ich mich in eine dürftige, kleine Erkenntnis: Was immer geschah, wenn es Rodenstock nicht mehr gab, würde mein Leben sehr mager sein, irgendwie halb, irgendwie unvollständig.
Ich fuhr hinüber nach Heyroth, und als es an der Zeit war, fuhren Emma und ich weiter nach Daun ins Krankenhaus. Sie war blass und schweigsam und sprach kein Wort. Sie trug Grau – einen grauen Rock, eine graue Bluse, eine graue, kurze Jacke, schwarze Ballerinas.
Sie wirkte fahrig, erzählte ein paar Dinge von der Reise nach Krakau, erzählte von Tante Liene und Auschwitz, sie sprach unzusammenhängend. Immer wieder kam sie auf Rodenstock und seinen Zustand zu sprechen. Es gab nichts Neues.
»Was ist das für ein Fall?«, fragte sie dann.
»Ein ziemlich mieser«, antwortete ich. »Neonazis. Du willst ständig weggucken, weil es dir peinlich ist. Dauernd herrscht Gewalt.«
»Vielleicht ist Gewalt manchmal nötig«, sagte sie unbestimmt.
Der Mann, von dem wir Aufklärung und Hoffnung erwarteten, war klein, schmal und drahtig und saß uns in einem kleinen Schwesternzimmer gegenüber auf einem harten, sicherlich unbequemen Stuhl. Er war zur konsiliarischen Untersuchung aus Köln hergekommen, daher trug er keinen weißen Arztkittel, sondern einen grauen Anzug, der so aussah, als hätte er ihn von einem Kumpel geliehen, und auch das Hemd, das er ohne Krawatte trug, schien ihm nicht richtig zu passen.
»Ich weiß, Sie lieben diesen Mann wahrscheinlich, ich weiß also auch, dass ich Sie schonen müsste. Aber das ist ein Irrtum. Der Mann hat nach meiner Erfahrung immer noch Glück gehabt. Warum das so ist, weiß ich nicht genau. Wir kennen diese Fälle bei Autofahrern, die plötzlich und ungebremst in ein anderes Fahrzeug krachen. Nach meiner Erfahrung haben die, die auf ihn einschlugen, selbst dann nicht damit aufgehört, als er längst besinnungslos war. Die Quetschungen und Prellungen bilden sich nur langsam zurück, er ist schließlich ein betagter Mann. Da ist etwas mit seiner Verdauung. Ich habe den Verdacht, dass er einen Riss an der Milz erlitten hat. Eine Milzruptur ist gewöhnlich kein großes Unglück, muss aber behandelt werden. Ich würde vorschlagen, ihm die Milz zu entfernen. Das habe ich auch den Kollegen hier vor Ort geraten. Das kann man minimalinvasiv erledigen, das ist kein großer Eingriff. Dann besteht in derartigen Fällen immer die Frage, wann man ihn aus dem Koma herausholt. Nach meiner Erfahrung sollte man das bald tun. Also schon morgen im Laufe des Tages und sehr, sehr langsam. Es gibt keine Rezepte, es gibt nur ärztliche Regeln. Im Rahmen dieser Regeln ist unsere Zuständigkeit gefragt. Ich würde ihn aufwecken und schauen, wie er reagiert. Es kommt durchaus vor, dass solche Patienten gar nicht aufwachen wollen.« Er schickte uns ein kleines Lächeln herüber. »Ich habe gelesen, er war Kriminaloberrat. Arbeitet er denn noch?«
»Oh nein«, antwortete Emma. »Aber er kann so schwer zugucken, er muss immer etwas tun. Sagen wir so: Langeweile hat er keine. Macht es eigentlich einen Unterschied, ob er gut gelaunt durchs Leben geht oder Kreuzworträtsel löst?«
Er lachte unterdrückt. »Sehr gut gefragt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Patienten, die allgemein positiv gestimmt sind und dem Leben ein Lächeln schenken, immer die sind, die am schnellsten eine Krise überwinden. Der Geist hilft dem Körper. Ist Ihr Mann jemand, der lächelt?«
»Oh ja«, antworteten wir beide gleichzeitig.
Wir lachten zusammen, alle drei.
Er fragte: »Weiß man denn, wer ihn so grausam geschlagen hat?«
»Nicht genau«, antwortete ich. »Aber es könnten Neonazis gewesen sein. Das ist eine Vermutung, die nahe liegt, aber wir müssen vorsichtig
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