Eifel-Krieg
»Zurück auf Anfang«, entschied sie sehr sachlich wie eine Buchhalterin. »Das ist zwar nicht möglich, aber wir können ja so tun, als ob. Streit zwischen uns ist auch nicht gut. Meine Kinder wollen dein Haus sehen, Baumeister.«
»Dann pack sie ins Auto und komm in die Eifel. Und jetzt fahren wir zu mir und gehen ins Bett.«
»Du tust das. Ich bleibe hier bei Tante Liene.«
»Ich habe es gewusst«, sagte ich. »Die Liebesgeschichten von heute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.«
Wir küssten uns, aber ganz vorsichtig.
Ich trollte mich, ich fuhr heim. Dann sprach ich mit der Unfallklinik in Bonn. Sie sagten mir, Guido Perl sei ziemlich schlimm dran, aber er sei nicht in Lebensgefahr.
Ich brauchte eine halbe Stunde, bis ich Hansemanns private Telefonnummer in Hamburg gefunden hatte. Es gab eine stehende Regel im Umgang mit den Leuten aus der Redaktion: Privat wird nur angerufen, wenn es unumgänglich ist, wenn die Story zu kippen droht, wenn es ans Sterben geht, wenn man von der Polizei gesucht wird, das Buschfieber hat oder die Mafia unbedingt eine Leiche braucht.
Ich rief Hansemann privat an.
Er hörte gar nicht auf, sich zu räuspern.
»Ich bin es, der aus der Eifel.«
»Ich schlage dich tot.«
»Du hast mir Guido Perl auf den Hals geschickt, ohne mich vorher zu benachrichtigen.«
»Ich hätte dich schon noch angerufen«, bemerkte er wütend.
»Jetzt hast du ihn aber in einer Unfallklinik in Bonn liegen.«
»Red keinen Scheiß, Mann.«
»Nein, nein, das ist leider kein Scherz. Die Neonazis haben ihn halbtot geschlagen. Hat er eine Frau? Hat er Kinder?«
»Er hat beides. Mal im Ernst, so schlimm?«
»Viel schlimmer. Ich habe die Telefonnummer der Klinik für dich. Und ich habe alle seine Sachen und sein Leihauto. Seine Frau kann mich jederzeit anrufen. Und noch etwas, damit sie uns nicht aus den Latschen kippt: Guido schwebt nicht in Lebensgefahr.«
Etwa eine Stunde später rief Guido Perls Frau an. Ich beruhigte sie, soweit das möglich war.
Nachdem sie aufgehört hatte zu schniefen, sagte sie leise und bissig: »Dieser Mann steckt dauernd irgendwo auf der Welt, immer da, wo es dreckig ist und stinkt und die Leute reihenweise umkommen. Und ausgerechnet hier bei uns wird er verprügelt. Wo ist das denn eigentlich, die Eifel?«
8. Kapitel
Um vier lag ich im Bett. Um sechs Uhr schlief ich noch immer nicht richtig, also gab ich auf und ließ einen Kaffee durchlaufen. Ich dachte ununterbrochen an Rodenstock.
Um sieben Uhr rief Tessa an und fragte mich, ob ich auch so müde sei. Ich bejahte.
»Meine Leute haben etwas ausgegraben, lese ich gerade«, sagte sie. »Blue war einige Male mit dem jüngeren Bruder von Ulrich Hahn in Tschechien.«
»Wann war das?«
»Daran arbeiten wir noch. Die Aussagen stimmen nicht überein. Sechsmal sagt der eine, viermal der andere. Könnte das irgendetwas bedeuten?«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Warum sollen junge Leute nicht nach Tschechien fahren? Aber wir wissen ja auch noch nicht viel. Wir kennen die einzelnen Leute und ihre Funktion auf dem Eulenhof noch gar nicht.«
»Ja, ja«, murmelte sie leise. »Bis sie uns dann mit der nächsten Schweinerei konfrontieren.«
»Geduld«, mahnte ich noch einmal, aber überzeugend fand ich meinen Einwand nicht.
Tessa seufzte und kündigte an: »Nach dem Frühstück werde ich wieder nach Trier fahren, vorläufig, es gibt genug in die Wege zu leiten. Ich melde mich wieder bei dir …«
Es regnete leicht, ich saß auf der Terrasse und versuchte, meine Beziehung zu Rodenstock zu ergründen. Was bedeutete er eigentlich für mich? Er war alles Mögliche, er war umfassend: der Vater, den ich nie gehabt hatte; ein Kumpel, nach dem ich mein ganzes Leben lang Ausschau gehalten hatte; ein väterlicher Freund, der mir manchmal mit einem süffisanten Lächeln beim Leben zuschaute, der ziemlich dreckig grinste, wenn eine Überlegung schräg war, wenn ich auf die Nase fiel. Eine feste Größe in meinem kleinen Leben? Ja, das ganz sicher. Jemand, den ich liebte? Mit Sicherheit. Am meisten liebte ich seine unaufdringliche Nähe. Sie war so etwas wie ein wärmender Umhang, in dem ich niemals fror. Er war mit seiner Gelassenheit auch der Mensch, der mein Leben entschleunigte, der behutsam darauf aufmerksam machte, dass Vollgas kein guter Zustand war. Schon jetzt wurde mir eng, wenn ich mir nur vorstellte, dass es ihm dreckig ging, und ich keinen Einfluss darauf hatte. Ich war zum Nichtstun verurteilt, ich musste
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