Eifel-Krieg
ungefähr, wann es brenzlig wird. Um halb zehn dachte ich: Ich geh mal da rauf. Nicht dass ihm was passiert ist. Ungefähr zwanzig Minuten später sehe ich ihn da oben aus dem Wald kommen. Aber er kam ja nicht, also er ging nicht normal, er taumelte, es sah so aus, als wäre er schwer besoffen. Dann fiel er hin. Er breitete die Arme aus und fiel nach vorne, also auf sein Gesicht. Dann bin ich gerannt.«
»War er bewusstlos?«, fragte ich.
»Der war durch«, erzählte Bodo Lippmann weiter. »Weißes Gesicht, Augen zu. Kriegte nur schwer Luft. Also, ich habe ihn erst mal auf den Rücken gedreht. Dann war da unten an seinem Kinn so was großes Weißes. Er hatte jede Menge Blut im Gesicht, aber diese Stelle da war richtig weiß. Es war sein Unterkiefer. Ich bin richtig erschrocken, der Mann war richtig kaputt. Ich hab dann telefoniert. Krankenwagen, Notarzt, Polizei. Ich habe mich neben ihn gesetzt und habe ihm das Blut aus dem Gesicht gewischt. Hatte aber keinen Zweck, kam immer neues nach. Ich habe mit dem geredet. Dann kam auch meine Frau gerannt, und dann die Kinder. Ich habe gesagt: ›Seht euch das genau an! Niemals Gewalt gegen Menschen, niemals so was!‹ Ach, ich war richtig durch den Wind.« Wahrscheinlich war ihm dergleichen noch nie im Leben passiert, er saß da und hatte Tränen im Gesicht. »Es war einfach furchtbar.«
Nach einer langen Pause sagte Tessa: »Ich danke Ihnen sehr. Da kommen gleich zwei Leute von der Mordkommission. Denen müssen Sie das leider noch einmal erzählen, tut mir leid. Hatte er denn Papiere bei sich?«
»Ja, klar. Der Notarzt hat die aus der Lederjacke gezogen … Ausweis und Presseausweis und so. Als der Hubschrauber losflog, haben die Leute die Papiere mitgenommen. Ich meine, das war ja richtig, dass die einen Hubschrauber geholt haben. Das war ja wohl was für Spezialisten. Haben wir ja nicht in der Eifel. Er hat mehrere Spritzen gekriegt, eine Infusion und dann ab nach Bonn. Muss ja schnell gehen so was.«
»Sind denn Leute aus dem Eulenhof gekommen, um zuzusehen?«
»Nein«, er schüttelte den Kopf. »Die wissen ja wohl, was sie angerichtet haben, die müssen ja nicht extra gucken.«
»Haben Sie nicht Angst vor denen?«, fragte Tessa.
»Doch«, nickte er. »Habe ich. Ich will die hier am liebsten weg haben.«
»Ich danke dir sehr«, sagte ich und hatte das beschämende Gefühl, dass das wie eine hohle Phrase klang und dass im Grunde nichts für seinen Mut übrigblieb außer der verstörenden Gewissheit einer unbegreiflichen Orgie von Gewalt.
Er sah mich an und brummte: »Ist doch wahr, da muss man doch dagegen sein.« Und dann war da wieder der alte Bodo Lippmann, der einfach nur grinste und beinahe genüsslich hinzusetzte: »Wir schaffen dat schon, Jung.«
»Irgendwas auf dem Eulenhof ist schiefgelaufen«, sagte Tessa im Wagen, sie wirkte sehr erschöpft. »Die werden niemals so dumm sein, sich so zu exponieren. Die haben auch bei Guido Perl riskiert, dass er stirbt. Irgendetwas läuft da aus dem Ruder.«
»Was wirst du tun?«
»Streng nach Vorschrift. Ich werde sie in Trier antanzen lassen. Einzeln. Da muss ich meine besten Leute dransetzen.«
Emma hatte uns eine Botschaft auf dem Tisch liegen lassen.
Ich bin im Krankenhaus, ich kann sowieso nicht schlafen. E
.
»Sie hockt jetzt auf einem verlassenen, schlecht beleuchteten Flur«, sagte Tessa.
»Dann möchte ich etwas zu uns beiden sagen.« Ich setzte mich auf einen Stuhl. »Ich weiß, dass das eine idiotische Bemerkung war. Ich weiß auch, dass ich zuweilen so tief in die Reportagen eintauche, dass ich mir nicht bewusst bin, mit wem ich gerade spreche. Ich denke, dass ich manchmal sogar vergesse, um welche Einzelheit es geht. Das ist eine saudumme Angewohnheit, und ich kann nicht einmal versprechen, dass ich das sofort abstellen kann. Ich wollte nur sagen, dass du mir sehr, sehr wichtig bist, dass ich dich nicht anstänkern wollte, dass ich keine Ahnung von Staatsanwälten habe und schon gar keine Ahnung von deinem Job. Ich möchte dich bitten, unsere Geschichte noch einmal und sehr vorsichtig anzufangen.«
Sie setzte sich, starrte irgendwohin und sagte: »Der Schnaps von Bodo war nicht gut, ich habe Sodbrennen.«
»Da steht irgendwo ein Hennessy«, sagte ich und deutete auf eine Truhe. »Willst du einen?«
»Einen Schluck«, sagte sie und stand auf. »Ach, Quatsch!«, äußerte sie schroff. »Ich brauche jetzt ein Glas Milch.« Sie ging an den Kühlschrank, goss sich Milch ein und trank etwas davon.
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