Eifel-Krieg
Rodenstock«, bat ich zaghaft.
»Heh, Baumeister«, sagte eine krächzende Stimme links von mir.
Da lag er in einem Gitterbett und sah aus wie das Leiden Christi zu Pferde. Bleich, blass und hohlwangig, aber edel.
»Sie dürfen nur ein paar Minuten bleiben«, sagte eine energische Stimme. »Sind Sie ein Angehöriger?«
»Oh ja!«, krächzte Rodenstock.
»Was ist denn mit dir? Haben sie dir die Milz rausgenommen?«
»Haben sie nicht. Ist doch auch egal.«
»Völlig egal«, sagte ich. »Was ist sonst mit dir?«
Er versuchte sich zu räuspern. »Na ja, es sind halt Schmerzen.«
»Herr Rodenstock bekommt Morphine«, sagte die männliche Stimme von irgendwoher. »Aber nicht mehr lange.«
Inzwischen konnte ich besser sehen. Rodenstocks Bett war eines von vier Betten, und die männliche Stimme saß schräg links von mir in einem Sessel und wippte mit dem rechten Bein.
»Wie läuft der Fall?«, fragte Rodenstock.
»Mühsam«, sagte ich. »Inzwischen ist ein Jäger erschossen worden. Vorgestern Abend. Da bin ich dran. Aber ohne dich ist es ein blödsinniger Job.«
»Ich komme ja bald nach Hause«, sagte er. Und bei den letzten beiden Worten wurde seine Sprache nuschelig – und er schlief plötzlich ein.
»Ich verschwinde mal wieder«, sagte ich leise. »Richten Sie ihm bitte schöne Grüße aus. Was sagen die Ärzte?«
»Da braucht man Geduld«, sagte der Knabe weise. Ich schätzte ihn auf unter zwanzig. »Ich übermittele die Grüße.«
»Dann übermitteln Sie mal«, sagte ich und verließ die traute Bleibe.
Vor dem Krankenhaus rief ich Emma an und sagte: »Ich soll dich grüßen, ich bin gerade bei ihm gewesen.«
»Kriegt er immer noch das blöde Morphium?«
»Ja, aber nicht mehr lange, haben sie gesagt.«
»Willst du was zu essen? Ich soll dich von Tessa grüßen. Sie ist schon wieder in Trier.«
»Kein Essen, danke. Ich muss jetzt einfach schlafen, verstehst du?«
»Das verstehe ich gut.« Sie zögerte ein wenig, dann sagte sie sehr müde: »Melde dich.«
»Moment mal«, sagte ich. »Hilft es dir, wenn ich bei dir schlafe?«
»Das wäre schön«, antwortete sie einfach.
»Dann komme ich doch.«
11. Kapitel
Wir hockten bis drei Uhr in der Nacht zusammen, und sie erzählte mir von ihrer Angst, ohne Rodenstock leben zu müssen. Nur einmal unterbrach sie sich selbst und ging die Treppe hinauf, weil Tante Liene wie ein trotziges Baby schrie. Dann kehrte wieder Ruhe ein, wir qualmten ihr die Bude voll und machten einfach die Tür zum Garten auf.
»Es ist nicht bloß Liebe«, murmelte sie. »Es ist einfach alles. Er hat mir nie einen Entschluss abgenommen, er hat nie für mich gedacht. Immer nur mit mir, verstehst du? Ich musste richtig begreifen, dass er immer da ist, dass aber immer die Möglichkeit besteht, etwas ganz ohne ihn und seine Hilfe zu tun. Ich würde wirklich gern wissen, wie ich ohne ihn ausgekommen bin, als es ihn noch nicht gab in meinem Leben. Du lieber Himmel, jetzt werde ich kitschig.«
»Durchaus nicht«, widersprach ich. »Außerdem: Warum sollst du auf Kitschiges verzichten, wenn es so war?«
Es ging auf drei Uhr zu, als sie mir das Bettzeug auf das alte Sofa packte. Dann umarmte sie mich, heulte ein wenig vor Erschöpfung, und Tante Liene meldete sich quäkend. Das Leben ging weiter.
»Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie heute Geburtstag«, bemerkte Emma. »Sie wird vierundneunzig.«
»Wir verlegen den Sektempfang auf später«, sagte ich.
Als ich am nächsten Vormittag aufwachte, war es elf Uhr, und ich starrte in die rabenschwarzen Augen von Tante Liene. Sie lachte keckernd und sagte schleppend: »Guuden Daach!«, als hätte sie es auswendig gelernt. Sie hatte ihren Kommandostand in dem alten Ledersessel erobert, und sie war sichtbar gut drauf in ihrem Kissenberg.
»Sie hat dich bewacht«, sagte Emma von irgendwoher. »Kaffee?«
»Das wäre ein Fest.«
Ich blieb liegen und trank den Kaffee laut schlürfend. Tante Liene hatte ihren Spaß. Ich stand auf, zog mich an und sagte, ich müsse an die Arbeit gehen, das sei bei mir so Sitte.
»Grüß mir Rodenstock.«
Zu Hause suchte ich mein Badezimmer auf und aalte mich eine Weile im warmen Wasser. Ich überlegte, wie ich weiter vorgehen könnte, und kam wie üblich zu dem Schluss, dass nur strikte Arbeit auch weiterführte. Punkt für Punkt. In dieser Hinsicht war ich stockkonservativ.
Ich rief Tessa an und fragte: »Ist bei euren Recherchen ein Mann mit dem Vornamen Stefan aufgetaucht? Das ist ein Name, den Blue
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