Eifel-Krieg
nicht, weil mein Wohnzimmer belegt war. Vielleicht gab es bei uns ab sofort einen Gartenkuckuck, die Eifel war ja entwicklungsfreudig.
Ich wählte die Handynummer von Wotan, die Kischkewitz mir gegeben hatte.
Er meldete sich mit: »Gerhard Hahn.«
»Mein Name ist Baumeister, ich bin ein Journalist. Können wir uns treffen und über den Eulenhof reden?«
»Komisch, auf Sie habe ich schon gewartet. Bisher waren sieben Gazetten bei mir und bettelten um ein Interview. Was wollen Sie denn?«
»Nachdem ich einen Toten hinter dem Gehöft gefunden habe und nachdem mir gleich ein paar Leute gesagt haben, mit Ihnen kann man vernünftig reden, will ich versuchen herauszufinden, was da gegenwärtig passiert. Es sind ein paar Tote und ein paar Verprügelte zu viel. Es ist also mein Job, danach zu fragen.«
»Das möchte ich nicht«, erklärte er einfach. »Ich kann zu der politischen Linie des Eulenhofs überhaupt nichts sagen, weil ich nichts damit zu tun habe und auch nichts damit zu tun haben werde. Also, Neonazis hin oder her, damit identifiziere ich mich nicht. Ich lebe hier, ich verdiene hier mein Geld, meine Familie ist hier. Mehr ist nicht.«
»Das glaube ich Ihnen nicht. Wer hat Ihnen denn diesen unglaublichen Vornamen Wotan gegeben?«
»Das war mein Vater, und er war todsicher betrunken. Und im Geburtsregister kommt der Name Wotan auch nicht mehr vor. Ich führe ihn nicht mehr.«
»Dann habe ich ja wenigstens in diesem Punkt Klarheit. Kann ich Ihnen meine Handynummer geben? Und rufen Sie mich an, wenn Sie Ihre Meinung ändern? Oder mich brauchen?«
Das erheiterte ihn ungemein, er begann zu lachen, und das klang sehr sympathisch. »Sie sind ein Scherzbold, nicht wahr? Warum sollte ich Sie bei irgendetwas benötigen?«
»Na ja, never say never«, sagte ich. »Die Erfahrung lehrt, dass so etwas durchaus möglich ist. Ich habe gestern Abend Ihre Ex-Schwägerin kennen gelernt. Die versicherte mir, mit Ihnen könne man vernünftig reden.«
»Ich hörte bereits von dem Treffen«, sagte er.
»Und da mich ein Mitarbeiter Ihres Bruders namens Veit Glaubrecht bei einem Besuch auf dem Eulenhof niedergeschlagen hat, dachte ich, der Bruder des Bruders würde eine Ausnahme machen und mit mir sprechen.«
»Veit hat Sie niedergeschlagen?«, fragte er sehr sachlich. »Das habe ich nicht gewusst. Mit was haben Sie ihn denn aufgeregt?«
»Mit der Bemerkung, ich würde ihm und Ihrem Bruder sowieso nichts glauben.«
»Das ist ja auch sehr unhöflich«, erklärte er flach.
»Dann stellen Sie sich einmal vor, wir würden aus jeder Unhöflichkeit einen Krieg machen«, wandte ich ein. »Wo kämen wir da hin? Ich bin im Übrigen der Meinung, dass der Eulenhof ohnehin am Ende ist. Er implodiert, würde ich mal sagen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nun ja. Blue wurde getötet, noch ehe er die Chance bekam, ein Mann zu werden. Doktor Voigt wurde von einem Sniper erschossen. Er war einer, der Frauen ekelhaft vorführte, einer aus einer studentischen Burschenschaft, die Hitler noch immer feiert. Einem Jäger aus Trier zertrümmerte wahrscheinlich derselbe Sniper die Schulter. Der Mann wird wohl sein Leben lang behindert bleiben. Dieser Mann erzählte seiner Frau, der Mord an sechs Millionen Juden habe nicht stattgefunden. Gestern erschoss womöglich derselbe Sniper vom Eulenhof aus einen Mann, von dem ich annehmen muss, dass er ein Agent des Verfassungsschutzes war. Männer wurden halb totgeschlagen, Jugendliche vom Eulenhof stehen hierfür dringend als Täter im Verdacht. Da wütet doch kein Erzfeind der Neonazis, da wütet doch eher jemand aus den Reihen der Neonazis.«
»Glauben Sie das im Ernst?«, fragte er interessiert.
»Ja, das glaube ich.«
»Können Sie das alles auch beweisen?«
»Natürlich nicht, vieles ist Gerede. Aber dieses Gerede ist eindeutig und weist auf nationalsozialistische Überzeugungen hin. Und dieses Gerede ist schmierig, schmutzig wie Brackwasser. Und Ihr Bruder hat mir beibringen wollen, dass bereits unter Karl dem Großen die Deutschen sich formten. Wie kann man so einen geschichtlichen Blödsinn formulieren? Der Eulenhof zertrümmert sich selbst. Und irgendwann werden junge Menschen aus der Eifel vor der Anlage stehen und Schilder in den Händen halten:
Nazis raus!
«
»Vielleicht vergeht es ja wie eine Krankheit«, sagte er, seine Stimme klang mitleidig.
»Wie man diesen Prozess nennt, ist mir eigentlich egal. Solange dieser Hagen Weidemann das Schiff steuert, ist es keine Krankheit, die
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