Eifel-Krieg
vergeht, sondern ein ekelhaftes Geschwür, das sich ausbreitet.« Dann merkte ich, dass ich schon ins Schimpfen geraten war. »Tut mir leid, ich will keine Reden halten, aber diese Geschichte regt mich viel mehr auf, als ich zugeben will. Das war jetzt ein Rückfall, also vergessen Sie das.«
»Sie haben eine Meinung und vertreten die. Das ist völlig okay.«
»Eine Frage noch. Sie waren mit Blue angeblich in Tschechien. Stimmt das?«
»Das stimmt. Sogar mehrmals. Wir haben Urlaub gemacht, das Land ist sehr schön, und die Menschen sind freundlich und lachen gern. Spielt das eine Rolle?«
»Das weiß ich nicht. Aber Sie haben Blue gemocht, nicht wahr?«
»Ja, richtig. Aber ich glaube nicht, dass er von Neonazis erschossen wurde. Ich denke, dass jemand ihn erschossen hat, der sich nicht in der Gewalt hatte.«
»War Hass das Motiv?«, fragte ich.
»Das kann gut sein, aber ich weiß es wirklich nicht«, antwortete er. »Und jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Es war sehr aufschlussreich. Kann ich Ihre Telefonnummer haben?«
»Aber ja.« Ich gab ihm die Nummer, bedankte mich bei ihm für das Gespräch, das er eingangs gar nicht gewollt hatte, und beendete das Telefonat. Dann holte ich mir einen zweiten Kaffee.
Tessa war verschwunden, ihr Auto war weg. Wahrscheinlich konferierte sie mit der Mordkommission. Aber sie hatte mir in meinem Büro auf dem Teppichboden einen Haufen Textilien hinterlassen, und ich nahm an, sie würde zurückkommen, ehe sie im nächsten Arbeitsmarathon versacken würde. Ich war merkwürdig stolz auf sie, und das war ein ganz neues Gefühl.
Das war der Tag, an dem die Sache mit Lasse passierte. Es begann wie immer sehr harmlos – mit einem Anruf des Bauern Bodo Lippmann, der offensichtlich seine Augen und Ohren überall hatte.
Anfangs druckste er herum, fragte, wie es mir gehe. Dann sagte er: »Also, da ist vielleicht was passiert. Ich sage gleich, dass das alles Blödsinn sein kann. Aber man weiß ja nie. Und du musst dann bitte nach einem Jungen namens Lasse fragen, obwohl der gar nicht Lasse heißt.«
»Wen soll ich nach Lasse fragen?«
»Den Direktor vom Gymnasium. Also, mein Ältester ruft mich eben an und sagt, dass der Lasse sich erhängt hat. ›Wer ist Lasse?‹, frage ich. ›Das ist einer aus der obersten Klasse‹, sagt er mir. ›Der spielt wahnsinnig gut Gitarre, viel besser als Bruce Springsteen.‹ Oder wie der heißt.«
»Lasse hat sich also erhängt«, wiederholte ich. »Bodo, mach mir das Leben nicht schwer. Du rufst doch an, weil Lasse irgendetwas mit irgendwem zu tun hat. Oder? Oder irre ich mich?«
»Also, Lasse soll mit der Meike zusammen gewesen sein, mit dem Mädchen aus dem Eulenhof, das angeblich geprügelt hat, verstehst du?«
»Woher weiß das dein Sohn?«
»Weil die ganze Schule darüber redet«, antwortete er. »Mein Sohn hat mich eben deswegen angerufen.
»Hast du deinem Sohn gesagt, er soll dir alles erzählen, was mit dem Eulenhof zusammenhängt?«
»Habe ich, jawoll. Ich habe meinem Sohn gesagt: ›Diese Leute können für die Eifel sehr schädlich sein.‹ Aber der Junge ist neun Jahre alt, der kann selbst entscheiden, ob er mich anruft oder nicht. Und die ganze Eifel redet pausenlos über diese Vorgänge. Glaubst du, das geht an den Schülern vorbei?«
»Wie heißt der Direktor der Schule?«
»Das ist der Seewald, Oberstudiendirektor Doktor Ingo Seewald. Kannst du den nicht mal anrufen?«
»Ja, das kann ich tun. Danke für den Tipp.«
»Vielleicht rufe ich selbst auch noch da an, ich weiß noch nicht«, sagte er bedrückt und legte auf.
Da war etwas vollkommen außer Kontrolle geraten. Ich rief also das Gymnasium an und bat um eine Verbindung zu Doktor Seewald. Das sei zurzeit nicht möglich, sagte mir eine Frau. Der habe Unterricht und könne nicht gestört werden. Ob sie denn etwas ausrichten könne.
»Allerdings«, sagte ich. »Ein Schüler, den man Lasse nennt, soll sich erhängt haben. Ich möchte wissen, ob das stimmt. Ich bin Siggi Baumeister. Ich bin ein Journalist, der das wissen möchte.«
»Aber Herr Baumeister! Lasse ist doch gerettet worden!«, explodierte sie. »Das stimmt doch alles gar nicht. Was wird denn da für Unsinn geredet?«
Ich war es satt, mit den Gerüchten von Gerüchten strapaziert zu werden, ich unterbrach die Verbindung. Es war schon schlimm genug, sich überhaupt mit Neonazis beschäftigen zu müssen, da brauchte ich nicht auch noch einen Selbstmord, der dann doch keiner war. Aber das war schon das
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