Eifel-Krieg
»Wir haben telefoniert, das ist mein Sohn Kevin.«
Wir saßen in der Sitzecke, ich besorgte Getränke und Aschenbecher. Ich sagte: »Ich finde es sehr gut, dass wir miteinander sprechen können. Mir macht diese Geschichte mit dem Eulenhof, gelinde gesagt, Kopfzerbrechen.«
Sie waren beide sehr zurückhaltend gekleidet. Bequeme, praktische Dinge. Blaue Jeans, T-Shirts, einfache Schuhe, nichts, was aus der Reihe tanzte. Die Mutter war hübsch, sie neigte zur Korpulenz und wirkte ein wenig erschöpft. Der Junge hatte ein schmales, ovales Gesicht mit blauen Augen unter einem wirren Haarschopf, in dessen Braun einige helle Strähnen gelegt waren. Er wirkte nachdenklich, scheu, und er war zwei Köpfe größer als seine Mutter. Er trug einen Drei-Tage-Bart.
»Darf man hier rauchen?«, fragte er.
»Deshalb die Aschenbecher«, erwiderte ich.
Seine Mutter holte eine Plastiktasche mit Tabak aus ihrer Jeansjacke und drehte sich eine Zigarette. Das passierte mit unglaublicher Geschwindigkeit, es war wie eine einzige elegante Bewegung ihrer Hände. Der Junge rauchte Filterzigaretten irgendeiner Billigmarke, die ich nicht kannte. Sie hatten beide um Wasser gebeten.
»Darf ich erklären, was ich vorhabe?«, fragte ich. »Ich möchte in diesem traurigen Fall vor allem die Hintergründe der Menschen erklären, die eine Rolle spielen. Also bestimmte Leute aus dem Eulenhof, bestimmte Leute aus der unmittelbaren Umgebung des Bauernhofes, aber auch bestimmte Leute, die versuchen, Klarheit in die Ereignisse zu bringen. Kriminalbeamte, Fahnder, Spurenleute, Einheimische, die sich bedroht fühlen. Ich will schildern, was diese Neonazis mit dieser Landschaft machen. Ich nehme unser Gespräch nicht auf und filme es auch nicht. Ich weiß nicht einmal genau, wann ich zu schreiben beginne, und wie ich diese erschreckenden Formen von Tod und Gewalt darstelle. Wenn ich Sie beschreiben werde, dann können Sie vor Erscheinen die Geschichte lesen, die Sie betrifft. Und Sie haben Einspruchsrechte.«
»Das ist uns recht«, sagte die Frau. Der Junge nickte nur.
Ich wandte mich zuerst an Kevin: »Wie bist du dazu gekommen, dort zu leben?«
»Das war irgendwie komisch, es war so, dass meine Eltern sich trennen wollten …«
»Und da kriegte er Angst«, sagte die Mutter schnell.
»Grundsätzlich!«, sagte ich zu der Mutter. »Hier wird keiner unterbrochen. Das führt zu Missverständnissen. Und noch etwas, Kevin. Heute war auch die Tina Jax hier. Die kennst du ja. Wir haben lange miteinander gesprochen.«
»Die ist okay«, sagte er hastig.
»Also, deine Eltern steckten in einem Trennungsprozess, und dann bist du in den Eulenhof gezogen, weil Meike, Hannes und Oliver dir das angeboten haben. Vorübergehend. Ist das so richtig?«
»Ja klar«, antwortete er. »Aber es stimmt nicht, dass ich ein Jahr da war. Es waren neun Monate genau. Dann bin ich zu meiner Mutter zurück. Das war auch gut so.«
»Mein bester Freund ist halb totgeschlagen worden. Nachts vor seinem Haus. Er sagt, es sei ein Mädchen dabei gewesen. Würdest du der Meike so etwas zutrauen?«
»Ja klar. Sonst geht doch keiner hin und macht so was. Die drei sind Kampfmaschinen, die hält keiner auf.«
»Wie ist deine Meinung heute? Sind sie noch deine Freunde? Fühlst du dich mit ihnen in einer Clique? Was ist da bei dir?«
»Hm, das ist schwierig. Anfangs waren wir eine Clique. Aber nur anfangs. Als dann das Training jeden Tag lief, da habe ich gewusst: Ich muss da weg.«
Frau Kaufmann konnte sich nicht mehr zurückhalten: »Und jetzt wird er in der Schule angepöbelt, weil sie behaupten, er würde zu denen gehören. Und er sagt das Gegenteil. Er kann machen, was er will, sie sagen immer: ›Du bist doch auch ein SS-Schläger.‹« Die Mutter begann zu schluchzen, und sie suchte in ihrer Jacke nach einem Taschentuch. »Das ist ja richtig furchtbar. Keiner hört ihm zu.«
»Das wird sich von selbst regeln«, sagte ich beruhigend. »In der Schule weiß man ja, wer Kevin wirklich ist. Eine Frage, Kevin: Was glaubst du denn, was auf dem Eulenhof passiert ist?«
»Als Blue erschossen worden ist, da habe ich gleich gedacht: Jetzt vernichten sie sich selbst! Also, nicht sofort, aber später.« Er lauschte seinen Worten nach, dann nickte er.
»Wer könnte denn Blue erschossen haben?«
»Ulrich Hahn, zum Beispiel«, antwortete er schnell. »Der macht immer einen auf gebildeter Manager, vornehm und zurückhaltend und so. Aber wenn es für ihn knapp wird, dann schlägt er zu. Ich
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