Eifel-Müll
Oberstaatsanwalt. Nur noch genehmigte Pressekonferenzen in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft.« Er seufzte. »Das bedeutet eine erhebliche Einschränkung, immer vorausgesetzt, wir wollen überhaupt etwas tun.«
»Ich will was tun«, sagten Emma und ich gleichzeitig.
Ich fragte: »Nachrichtensperre – aber vermutlich ist es uns gestattet, Kischkewitz anzurufen, wenn wir etwas erfahren, oder?«
Rodenstock grinste leicht. »Das wird erlaubt sein.« Er rückte den Stuhl zurecht. »Immerhin weiß ich, dass der Fundort der Leiche von Natalie Colin nichts hergegeben hat. Keine verwertbaren Spuren, kein Fingerabdruck, kein Fußoder Schuhabdruck. Kein Reifenabdruck, nichts. Auch an den Fässern sind keine Fingerabdrücke. Es handelt sich um Zweihundert-Liter-Fässer, frisch lackiert mit einer Allerweltsfarbe, Blau. Das ist schier unglaublich, dass da keine Fingerabdrücke drauf sind. Sie sind mit einer Art Seifenlauge abgewischt worden. Immerhin sind auf den Möbeln Spuren, aber die Prints sind nicht registriert. Im Moment hat die Mordkommission die Ortsbürgermeister in der Mache. Vielleicht weiß einer von denen, in welchem Wohnzimmer diese Möbel gestanden haben.«
»Was ist in den Fässern?«, fragte ich. »Hat Kischkewitz das noch sagen können, bevor der Oberstaatsanwalt zubiss?«
»Hat er, jedenfalls vorläufig. Sie haben eine Art ölige Brühe gefunden, die Dioxin enthält. Eigentlich ist Dioxin ein Gas, aber in der öligen Brühe ist es gebunden und wird niedlich als Verunreinigung bezeichnet. Das reicht, um ganz Frankfurt am Main zu töten. Das Zeug ist wahrscheinlich viele Jahre alt. Mehr konnte Kischkewitz nicht sagen. Und das konnte er auch nur sagen, weil es Thema einer Pressekonferenz sein wird, die er gleich gibt.«
»Ist es denn vorstellbar, dass drei Täter unabhängig voneinander in der gleichen Nacht dieselbe Stelle zur wilden Müllkippe machen? Gibt es so ein Zusammentreffen von Zufällen?« Emma zündete sich einen Zigarillo an.
»Möglich ist alles«, nickte Rodenstock. »Es hat in der Geschichte der Kriminalistik solche Zufälle gegeben. Aber alles in mir sträubt sich dagegen, das zu glauben. Baumeister, wo liegt diese Kippe genau, wie sieht die Umgebung aus?«
»Da ist eine schmale alte Landstraße. Wahrscheinlich verläuft sie auf einer uralten Pferdetrasse. Rechts und links sind abwechselnd Weideflächen und Wälder in einer hügeligen Landschaft. Auf der linken Seite dieser Straße, die von der B 410 abzweigt, liegt ein Hochwald, deutlich sichtbar abfallend in ein relativ steiles Tal. Wenn ich mit einem LKW und zwölf Giftfässern unterwegs bin und wenn ich diese Giftfässer unbedingt loswerden möchte, dann ist das keine Stelle, die ich zufällig wähle. Etwas anderes ist es, wenn ich die Stelle bereits kenne und weiß, dass sie sicher ist. Dabei spielt auch eine Rolle, wie fest der Boden des Feldwegs ist, der an diesem Waldrand entlangführt. Er muss fest genug sein, um keine Spuren meiner Bereifung zurückzulassen und um meinen LKW aufzunehmen. Ich darf unter keinen Umständen riskieren, das Fahrzeug festzufahren. Sicher ist diese Stelle insofern, als dass auf der schmalen Straße kaum Verkehr ist, bestenfalls alle zwei Stunden ein Auto, nachts bestimmt gar keines.« Mir fiel etwas ein: »Vielleicht ist der Fasstransporteur ja einfach auf gut Glück durch die Gegend gefahren und hat die Lage sondiert. Kann es nicht sein, dass er den, der seine Möbel loswerden wollte, beobachtet hat und dann die gleiche Stelle für sein Zeug wählte? Einer der Polizisten am Fundort war sich sicher: Erst sind die Möbel geflogen, dann die Fässer, dann kam die Tote. – Und noch etwas: Diese hohe heisere Stimme muss auch noch in das Bild passen. Was hat der Mann gesehen, vor allem wann?«
»Was meinst du, wie seine geistige Verfassung ist?«, fragte Rodenstock.
»Na ja, er ist intelligent genug, um ein mieses, arrogantes Spielchen zu spielen. Er kennt die Stelle und weiß von einer nackten toten Frau, noch ehe irgendjemand davon weiß. Das bedeutet mit Sicherheit: Er war dort. Das bedeutet ferner: Er könnte der Mörder sein. Aber warum? Er wirkt spöttisch, er wirkt so, als kenne er die Wirkung überraschender Nachrichten ganz genau. Ich vermute, dass er kein Landwirt ist, der zufällig dort mit der Mähmaschine vorbeikam. Es muss irgendetwas anderes gewesen sein, was ihn zu der Kippe führte. Aber was?«
»Wie lange braucht man vom Fundort der Leiche bis nach Mannebach?«, fragte Emma sachlich.
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