Eifel-Müll
schüttelte schließlich den Kopf. Er zog ein Päckchen aus der Tasche seiner Arbeitsjoppe und drehte sich eine Zigarette. »Ehrlich, Jung, ich weiß nichts. Ich höre nur immer. Dauernd ist was im Radio und heute Abend wird jede Menge im Fernsehen sein. Der Sohn von dem Hardbeck soll ja in der gleichen Nacht tödlich verunglückt sein. Ist das wahr?«
»Ja. Der ist hinter Darscheid, wo es unter der Autobahn durchgeht, gegen die Betonwand gefahren. Keine Bremsspur, war wohl sofort tot.« Ich stopfte mir die Rondo von Stanwell und wir pafften vor uns hin.
»Das muss man sich mal vorstellen. Beide tot, beide in derselben Nacht. Da ist doch irgendwas nicht in Ordnung, oder?«
Der Wagen beschlug von innen und sehr bald saßen wir im Nebel.
»Ich frage mich, was so ein reicher Mann wohl durchmacht«, murmelte der Bauer. »Da stirbt der Erbe und all dein Geld nutzt dir nichts mehr. Alles im Arsch ...«
»So wird es sein«, nickte ich.
»Schreibst du drüber?«
»Nein, erst mal nicht. Es ist ja noch keine Story. Bis jetzt gibt es nur dieses tote Paar, sonst ist noch nichts sicher.«
»Da wird viel rauskommen«, sagte er nachdenklich. »Es ist komisch, dass es ausgerechnet die beiden erwischt hat. Wo doch hinten im Forsthaus immer diese Runde tagte, diese Geldfritzen. Und der Walter Hardbeck auch.«
»Weißt du was über die?«, fragte ich schnell.
»Nichts«, erwiderte er. »So was ist nichts für unsereinen. Du weißt schon, Schuster bleib bei deinen Leisten.« Er wechselte das Thema, murmelte: »Schöner Frühsommer. Wir hatten das beste Frühjahr seit vielen Jahren. Kein Bodenfrost. Alles steht gut, die zweite Mahd ist schon bald vorbei und sie war verdammt reich.«
»Hast du noch viel?«
Er schaute mich an und schüttelte den Kopf. »Nä. Hat auch keinen Zweck mehr. Die kleine Zugmaschine da, zwei Schweine, zwei Rinder pro Jahr. Ein Acker Kartoffeln, zwei Acker Wiesen. Den Rest habe ich verpachtet und ich habe noch Schwein, dass ich überhaupt einen Pächter gefunden habe. Die Frau ist mir vor sechs Jahren weggestorben, sie sollte eine neue Hüfte kriegen, hat das aber nicht gepackt. Ich hatte eine gute Frau.« Er starrte auf die nebelige Windschutzscheibe. »Sie hat unheimlich viel gearbeitet, sogar mehr als ich. Und sie hat den Sohn großgezogen. Aber der ist ja nun weg. Lebt in Stuttgart, ist Computermann. Hat auch Familie, zwei Kinder. Kommt mich besuchen. Immer zu Weihnachten.« Er begann sich eine neue Zigarette zu drehen. Der Regen draußen ließ nach, das Grummeln klang entfernter, Blitze waren keine mehr zu sehen.
»Wie alt bist du?«
»Achtundsiebzig. Bis jetzt war ich immer gesund. Na klar, mal zieht es im Kreuz und die Beine wollen auch nicht mehr so. Aber ich kann mich nicht beklagen, mir geht es gut. Ich muss nun weiter, denke ich. Dein Leben lang hast du malocht.« Er lächelte etwas melancholisch. »Du solltest irgendwann mal über die Renten der deutschen Bauern schreiben. Das ist ein Thema, sage ich dir! Mach es gut.«
»Ja, gleichfalls.«
Er stieg aus und warf die Tür zu. Ich drehte die Fenster herunter, damit Frischluft hereinkam und die Scheiben wieder klar wurden. Der Bauer tuckerte davon. Ich ließ mir Zeit, knabberte an einer Vermutung herum, die Tina Colin betraf. Sie hatte behauptet, dass alles in ihrem Leben höchst ehrenwert sei, dass ihre Tochter sie liebte und sie ihre Tochter liebte. Dass alle Gerüchte, die das Wort ›Puff‹ betrafen, gänzlich falsch seien. Ich ahnte, dass etwas daran gelogen war und dass Tina Colin sich selbst gar nicht bewusst war, dass sie log.
Ich rief Matthias in seiner Praxis in Wittlich an, ein Seelenarzt würde wissen, was zu vermuten war.
Er durfte nicht gestört werden, würde aber in fünf Minuten zurückrufen. Also blieb ich in der Wieseneinsamkeit sitzen und bemerkte rechts neben dem Auto ein paar Teufelskrallen in ihrer violetten Pracht. Unten am Bach blühte gelber Hahnenfuß in Fülle, daneben hochragende Vergissmeinnicht und, verborgen im hohen Gras, tatsächlich gelbe Schwertlilien. Ein Bussard flog von hinten heran, zog über dem Wagen eine scharfe Wende, stellte sich einige Sekunden lang aufrecht in den Gegenwind, schrie hoch und gellend und stürzte dann wie ein Stein zu Boden.
Mein Handy intonierte Beethoven, ich drückte die Taste und Rodenstock fragte: »Wo bist du? Gleich kommt dieser Oberstudienrat, du weißt schon.«
»Wie geht es Emma?«
»Erstaunlich gut. Sie ist ... sie ist sogar fröhlich. Wo bist du?«
»Ich komme
Weitere Kostenlose Bücher