Eifel-Müll
Gesicht. »Leute, es gibt ein neues Problem. Natalie wollte von hier nach Maria Laach fahren. Aber Hans Becker war nicht in Maria Laach. Er hatte nicht die geringste Ahnung, dass sie kommen wollte, gibt aber zu, dass er ihr noch ein paar tausend Mark schuldete. Sein Alibi ist wasserdicht. Er war im Parkhotel in Düsseldorf, hat an einer Vorstandssitzung einer Siemens-Tochterfirma teilgenommen, zusammen mit sechs anderen höchst ehrenwerten hoch bezahlten Zeitgenossen.«
»Scheiße!«, stöhnte Vera heftig.
»Pass auf, Baumeister«, sagte Rodenstock entschlossen. »Wir müssen jetzt schnell sein. Wir fahren mit Herrn Schminck und dem Geld nach Wittlich. Vielleicht hat Kischkewitz ja auch was Neues.«
»Fahrt ihr mal ohne mich«, erwiderte ich. »Ich sammle weiter lose Fäden auf. Zum Beispiel interessiert mich noch der lose Faden namens Lampert. Und ich versuche Bronski aufzutreiben.« Dann wandte ich mich erneut an Schminck: »Haben Sie je Bekanntschaft mit einer hohen, heiseren Männerstimme gamacht?«
Einen Augenblick lang war er verwirrt. »Hohe, heisere Männerstimme? Ich nicht, aber Natalie. Sie hat von einem Anrufer mit einer richtig miesen, hohen Stimme erzählt. Er habe Telefonsex machen wollen und gesagt, sie soll sich ausziehen und Ähnliches. Das übliche widerliche Zeugs.«
»Wann hat sie das erzählt?«
»Bei ihrem letzten Besuch hier. Der Anruf muss ein paar Abende oder Nächte zuvor erfolgt sein. Kennen Sie den Mann? Meinen Sie, dieser Mann war es?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich mach mich jetzt auf den Weg.«
Ich verließ das Haus, setzte mich in den Wagen und startete. Nach Bronski konnte ich auch am Steuer fahnden. Ich rief im Hotel Panorama an und fragte nach Tina Colin.
»Baumeister hier. Kannst du mir bitte die Handynummer von Ladi geben? Du musst sie doch haben.«
»Habe ich auch. Warte mal.« Tina legte den Telefonhörer beiseite, dann diktierte sie mir die Nummer. »Und, habe ich Recht gehabt, war sie bei Schminck und hat kassiert?«
»Ja, war sie. Aber Geld wollte sie nicht. Ich melde mich später.«
Mein nächster Anruf galt der Auskunft, die ich bat, mich mit Florian Lampert zu verbinden.
Er hatte eine jugendliche Stimme und klang gut gelaunt.
»Mein Name ist Baumeister. Ich habe mich heute mit Svenja Fiedler unterhalten. Sie hat mir Ihren Namen genannt. Darf ich Sie heute Abend noch besuchen, es ist dringend.«
»Wann wollen Sie denn kommen?«
»Ich muss erst noch woanders hin, daher kann es spät werden. Mitternacht etwa. Es geht um den Mordfall Natalie.«
»Komisch«, kommentierte Lampert trocken, »ich hatte viel eher mit Besuch gerechnet. Gut, kommen Sie.«
Zunächst fuhr ich in die entgegengesetzte Richtung von Wittlich. Mir war ganz plötzlich der Gedanke gekommen, dass in der Eifel gewisse Umstände des Lebens immer gleich gehandhabt werden. Warum sollten für einen Besuch in Maria Laach nicht die gleichen Regeln gegolten haben wie für einen Besuch bei Adrian Schminck in Boos? Hatte Hans Becker nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gemahnt: »Diskretion, meine Liebe, ist oberstes Gebot!«
Ich dachte über Hans Becker nach, der in seinem eigenen Mausoleum hauste und sich dort wahrscheinlich wohl fühlte, weil es ihm Schutz gab. Er hatte sich ein Imperium gebaut, aus Geld, aus Macht. Wahrscheinlich war er wie viele sehr erfolgreiche Männer auf dieser Welt vollkommen eins mit sich selbst: Er machte die Gesetze, nach denen er lebte. Und wahrscheinlich gestand er sich junge Frauen wie Natalie als Belohnung für ein arbeitsreiches Leben zu; er war mit seinem Herrgott vollkommen einig darin, dass dem Zeus durchaus erlaubt ist, was dem Ochsen niemals erlaubt sein darf. Zudem wusste er sich unter dem besonderen Schutz seiner Mutter Kirche, lebte neben einem der berühmtesten Klöster dieses Abendlandes, war sogar Teil dieses Klosters, war wichtig für diesen Hort unablässig aufsteigender Gebete, sicherte Einkünfte, machte Geschäfte zum Lobe des Herrn. War es nicht unmöglich, sich unter diesen Umständen als normaler Bürger zu fühlen?
Ich bog von der Schnellstraße auf die Landstraße nach Bell ein und wurde langsamer. Hier musste irgendwo eine Möglichkeit sein.
Dann sah ich eine.
Der Weg war breit und geschottert, wahrscheinlich diente er zum Holzabfahren. Er führte in einem weiten Linksbogen in den Hochwald hinein und stieg dabei leicht an. Es begann zu nieseln, der Himmel war dunkel. Ich überlegte, ob ich es riskieren konnte, diesen Weg zu befahren,
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