Eifel-Ralley
maschinengeschriebene Zeile, keinerlei Unterlagen von offiziellem Charakter. Er hatte eine Verschleierungstechnik wie so viele Kolleginnen und Kollegen benutzt: Niemand konnte mit diesen Notizen etwas anfangen. Kein Zettel trug ein Datum, also war nicht einmal eine Reihenfolge festlegbar.
Ich fluchte, doch dann erinnerte ich mich, daß ich bei bestimmten riskanten Geschichten selbst diese Art der Dokumentation angewandt hatte.
»Er war verdammt gut«, sagte ich in die Stille. »Ich wollte, er wäre weniger gut gewesen.« Damit war allerdings klargestellt, daß Harro seinen Recherchen höchste Bedeutung beigemessen hatte. Und bei Harro hieß das allemal, daß er einer besonderen Sache auf der Spur gewesen war. Vielleicht würde es möglich sein, mit Hilfe einiger Zettel ein Muster seines Vorgehens zu erarbeiten.
Aber noch war es nicht soweit, denn erst einmal würde es heißen, Abschied von ihm zu nehmen, seiner Frau beizustehen.
Ich packte die Zettel wieder zusammen, legte sie in die Mappe und verstaute sie im Schreibtisch. Dann verließ ich das Haus, setzte mich auf eine kleine Mauer neben der Eingangstür, stopfte meine Pfeife und sah dem Rauch nach, wie er in die Sonne stieg. Ich hielt es drinnen einfach nicht aus und hatte schon begonnen, mich bei jedem nicht identifizierbaren Geräusch umzudrehen, hochzuschrecken. Was erwartete ich eigentlich? Daß Harro kam und sagte, er wolle ein Bier?
Sie kehrten eine Stunde später zurück, waren einsilbig, sprachen weder mit mir, noch miteinander. Petra legte sich auf ein Sofa im Gästezimmer, und Dinah hockte sich im Wohnzimmer in einen Sessel und starrte vor sich hin.
Das Telefon schrillte, und ich sagte automatisch: »Ja bitte, bei Harro hier.«
»Ich bin es«, sagte Salchow. »Die Staatsanwaltschaft hat meinen Bedenken stattgegeben. Sie führen eine Obduktion durch, hier in Adenau, und sie erlauben, daß ich teilnehme.«
»Wann wird das sein?«
»Ich denke, wir fangen in einer halben Stunde an. Ich rufe Sie an. Werden Sie noch in Harros Wohnung sein?«
»Natürlich«, sagte ich.
Petra stand in der Tür, Dinah schaute mich an.
»Nichts Besonderes«, erklärte ich. »Nur eine Nachricht für mich, die hiermit nichts zu tun hat.«
Es war hoher Mittag und heiß wie an den Tagen vorher, das Leben floß sehr träge. Petra war zurückgegangen in das Gästezimmer, Dinah hockte wieder versunken in dem Sessel.
»Glaubst du, sie wird es schaffen?« fragte sie.
»Natürlich wird sie es schaffen. Irgendwie schaffen sie das alle. Die Frage ist nur, wie groß die Verwundungen sein werden.«
Schweigen.
»Es ist komisch«, murmelte sie. »Ich habe festgestellt, daß ich dich sehr liebe. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß sie dich irgendwo finden und du lebst nicht mehr. Es ist unvorstellbar, und ich wehre mich, darüber nachzudenken.«
»Das sind schlimme Vorstellungen«, sagte ich. Ich hatte mir einen Lehnstuhl vor das Fenster gezogen und starrte in den Garten.
»Hast du jemals daran gedacht, daß ich nicht mehr da bin? Oder sterbe?«
»Ja«, sagte ich. »Ich denke, alle Menschen kommen von Zeit zu Zeit auf solche Gedanken. Es ist wohl die Tatsache, daß wir mitten im Leben sehr nahe am Tode sind. Die Gedanken sind einfach schrecklich, und wer sie mit der Bemerkung abtut, das alles sei doch natürlich, der lügt ein bißchen.«
»Der lügt sehr«, sagte Dinah.
»Wann kommen die Verwandten?«
»Petras Eltern müßten bald da sein, sie kommen aus Düsseldorf. Seine Eltern werden irgendwann in der Nacht hier sein. Die haben auf Sylt Urlaub gemacht. Der Bruder will in New York die nächste Maschine nehmen, ich muß noch Hotelzimmer besorgen. Was glaubst du, ist alles mit rechten Dingen zugegangen? War Harros Tod ein normaler Tod?«
»Ich weiß es nicht. Ich würde jetzt gern mit dir auf einem Bett liegen. Möglichst nackt und möglichst eng. Dann wäre das nicht so bedrückend.«
»Das würde helfen«, gab sie zu. »Ist es so, daß ein Herz plötzlich zu schlagen aufhört? Einfach so?«
»Das passiert jeden Tag an jedem Ort«, sagte ich. »Die Vorstellung allein ist schon beschissen. Es erleben zu müssen, nimmt den Atem. Harros Körper war ohne jede Wunde, er hatte nicht einmal einen Finger gebrochen. Wann ist Petra eigentlich angerufen worden?«
»Irgendwann um vier Uhr, sagt sie.«
»Glaubst du, sie schläft jetzt?«
»Sie wird zumindest dösen. Wir sind bei diesem Arzt vorbeigefahren, und er hat ihr eine Schachtel Diazepame gegeben. Valium. Sie hat zwei
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