Eifel-Ralley
Peter verscheuchen, las ich ohne Pause weiter. Ein Wort von Hermann Hesse: »Alle Tage rauscht die Fülle der Welt an uns vorüber; alle Tage blühen Blumen, strahlt das Licht, lacht die Freude. Manchmal trinken wir uns daran dankbar satt, manchmal sind wir müde und verdrießlich und mögen nichts davon wissen; immer aber umgibt uns ein Überfluß des Schönen ...«
»Alice nackt«, sagte er ruhig.
Ich erkannte ihn kaum. Er steckte seinen Kopf aus einem Loch in ungefähr anderthalb Metern Höhe und mühte sich, mich anzusehen. Beide Augen waren zugeschwollen, zugeschlagen, das Kinn war blutverkrustet, und das Haar lag wie ein Helm in seiner Stirn, glänzte wie Lack.
»Peter wehgetan«, sagte ich so gelassen wie möglich.
»Aua«, sagte das Kind.
»Wer war das?«
»Männer«, sagte das Kind und rührte sich nicht.
»Was für Männer?«
»Männer«, sagte er.
»Okay«, sagte ich. »Männer, böse Männer. Magst du ein Eis essen?«
»Zähne«, sagte er.
»Dann komm doch mal her«, sagte ich, stand ganz langsam auf und kletterte von dem Sitz.
Peter ließ sich nach vorn aus der Wand aus Heu fallen und drehte sich. Er kam zu mir, gab mir die Hand und verbeugte sich.
»Peter weh«, sagte er und faßte sich an den Kopf.
»Wollten sie dich totmachen?« fragte ich.
»Peter weggelaufen, Peter schnell«, sagte er heftig.
Ich drehte vorsichtig sein Gesicht herum. »Mach mal den Mund auf.«
Er machte den Mund auf. Oben fehlten vier Zähne, unten zwei.
»Hast du Schmerzen?«
»Ja. Schmerzen.«
»Wie viele Männer?« Ich zeigte ihm erst zwei Finger, dann drei, dann vier.
»Zwei.«
»Blut abwaschen«, sagte ich.
Er nickte sehr ernsthaft. »Peter dreckig.«
Ich legte ihm den Arm um die Schulter und stieß die Scheunentür auf. »Komm her, laß uns gehen. Du mußt untersucht werden. Zum Arzt.«
»Nicht.«
»Ich gehe mit.«
»Dann«, nickte er. Er setzte jedoch hinzu: »Nicht Krankenhaus!«
»Doch Krankenhaus«, sagte ich energisch und überlegte, wieso dieser Junge nicht längst ohnmächtig war. Wahrscheinlich hatte sich Peter in seiner panischen Angst nicht gestattet, das Bewußtsein zu verlieren.
»Peter ganz ruhig. Ich bin ein Freund!« sagte ich.
»Peter ruhig«, sagte er. Dann fiel er um.
Rodenstock und der alte Mann kamen heran.
»Er muß dringend zu einem Arzt«, erklärte ich. »Helft mir mal, ihn ins Auto zu tragen.«
Rodenstock half mir, wir fuhren zur Praxis des Dr. Salchow, der kurzerhand entschied, einen Krankenwagen zu rufen und mit Peter ins Krankenhaus zu fahren.
»Er darf keine Minute allein sein«, sagte ich mahnend, bevor wir uns wieder ins Auto setzten.
»Sie wollten ihn einschüchtern«, mutmaßte Rodenstock.
»Eher nicht«, sagte ich. »Ich glaube, sie wollten ihn schlicht erst verprügeln und dann töten, um uns zu verwirren. Er hatte Glück, er konnte ihnen entwischen. Alles bleibt Theorie, bis wir die erwischen, die es taten. Kennen wir jemanden in Mayen?«
»Kwiatkowski sagte, einer der Bankdirektoren, der Oberboß sozusagen, wohnt in einem Ort namens Kottenheim in der Nähe von Mayen. Wir können nur hoffen, daß er zu Hause ist. Wieso ist plötzlich so viel Verkehr hier?«
»Sonntag findet der Große Preis von Luxemburg statt. Morgen ist Training, Sonntag mittag das Rennen. Dann ist das hier ein Riesennest mit Verrückten. Rund 250.000 Menschen auf wenigen Quadratkilometern. Und mindestens 50.000 saufen sich bis zum Beginn des Rennens die Hucke voll, nur um die Zeit zu vertreiben. Ich habe im Expreß gelesen, daß jemand für ein Teufelsgetränk, irgendeinen Billigkognak mit Cola, eigens eine Pumpe erfunden hat. Der Typ strahlte in die Kamera, daß er für sich und seine Kumpels dreißig Flaschen Kognak hergekarrt hat. Auf die Frage, wie viele Kumpels er denn erwartet, antwortete er: Sechs. Ist das nicht niedlich?«
»Meine Güte, wenn die alle in den Wald pinkeln, geht der an einer Alkoholvergiftung ein. Dann mach schnell, daß wir hier wegkommen.«
Ich fuhr bis Kelberg, dann auf der Hauptkreuzung nach links in Richtung Mayen.
Wir rauschten an dem Ort vorbei und nahmen dann die Abfahrt nach Kottenheim. Rodenstock fragte eine Frau mit Hund nach der Gartenstraße, und schließlich standen wir vor einem Haus, das wie der verzweifelte Versuch aussah, aus einem ganz normalen Kasten eine verspielte, mittelalterliche Burg zu basteln.
»Er heißt Siegfried Hillesheim«, murmelte Rodenstock. »Mach dir die Fingernägel sauber, und sag bitte und danke, wenn du angeredet
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